Berlin/Bad Staffelstein Seehofer und Orbán gegen Merkel

Berlin/Bad Staffelstein · Bei seiner CSU-Klausur übt der Parteichef den Schulterschluss mit dem ungarischen Ministerpräsidenten und lobt ausdrücklich dessen Flüchtlingspolitik. Die SPD zeigt sich irritiert über das Vorgehen des Koalitionspartners.

Demonstrativ suchte Horst Seehofer den Schulterschluss. Kloster Banz bildete die Kulisse für den gemeinsamen Auftritt - und Seehofers Versicherung, "auf Querschüsse verzichten" zu wollen. Das war kurz vor der Bundestagswahl 2013. Und neben Seehofer stand Angela Merkel. Zwei Jahre später gibt es vor derselben Kulisse wieder einen Schulterschluss. Dieses Mal steht Viktor Orbán neben dem CSU-Chef, in diesen Tagen sozusagen der Anti-Merkel. Und Seehofer feuert in dessen Beisein gleich die nächste Breitseite gegen die Kanzlerin ab.

"Durch eine deutsche Entscheidung" (und damit meint er die Kanzlerin) befinde sich Europa in einem "regelfreien Zustand". Orbán bemühe sich darum, wieder Ordnung ins System zu bringen, und dafür habe er "Unterstützung und nicht Kritik verdient", betont der CSU-Chef.

Es ist die konsequente Fortentwicklung einer Entfremdung. Gleich nach dem Wochenende, an dem Deutschland 20.000 verzweifelte Flüchtlinge aufnahm, hatte Seehofer Merkels Vorgehen als "beispiellose politische Fehlentscheidung" bezeichnet, nun stellte er zur Eröffnung der CSU-Klausur in Kloster Banz fest, dass der Staat die "Zügel völlig aus der Hand gegeben" habe. Und jetzt markiert er mit der Einladung an Orbán und dem gemeinsamen Auftritt einen argumentativen Lagerwechsel: Orbán steht für Regeln und Rechtsstaat, Merkel für "chaotische Verhältnisse" und Zügellosigkeit - und dabei lässt Seehofer keinen Zweifel, an wessen Seite die CSU steht.

Orbán nutzt die Gelegenheit nur zu gern und empfiehlt sich Seehofer als "einer Ihrer Grenzschutzkapitäne". Denn die Südgrenzen Bayerns würden "heute von Ungarn geschützt". Auffälligerweise verwenden Seehofer und Orbán dasselbe Schlüsselwort: Es sei "Pflicht", in dieser historischen Epoche mit der größten politischen Aufgabe seit Überwindung der Teilung Europas miteinander zu sprechen, sagt der Bayer. Und der Ungar ergänzt, er betrachte es als seine "Pflicht", nach Bayern zu kommen und über die Lage Bericht zu erstatten.

Seehofer lässt Orbán weitere Pflöcke einschlagen. In die deutsche Innenpolitik einmischen wolle er sich nicht, sagt der Gast, wirft der Bundesregierung indirekt jedoch "moralischen Imperialismus" vor. Eine klare Absage erteilt er ebenfalls der deutschen Forderung nach Flüchtlingsquoten. "Die Ungarn wollen das nicht", erläutert er.

In der CDU-Zentrale beißt man sich auf die Lippen angesichts der bayerisch-ungarischen Salven auf die eigenen Partner im Bund - und das kurz vor dem zentralen Flüchtlingsgipfel, bei dem alle wichtigen Akteure an einem Strang ziehen wollen. Schon die Sitzung der CDU/CSU-Fraktion hatte am Dienstag bis in den Abend gedauert, weil zahlreiche Abgeordnete von den prekären Zuständen und Stimmungen vor Ort berichteten. Merkel hatte zwar noch einmal Beifall bekommen, als sie begründete, warum sie in absoluter Ausnahmesituation in Ungarn habe helfen müssen. Doch herrschte anschließend gleich Uneinigkeit darüber, ob der Applaus kräftig wie immer oder nur noch höflich gewesen sei.

Kein Blatt vor den Mund nehmen SPD, Grüne und Linke, die vor dem Klausurgebäude in Bad Staffelstein zusammen mit Asylgruppen gegen Seehofers Ungarn-Politik demonstrieren. Die CSU suche offenbar die "geistige Nähe zu einem europäischen Brandstifter", bemerkt Bayerns SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher.

In Berlin äußert sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann irritiert über die Einladung des Koalitionspartners an Orbán. Es sei nicht in Ordnung, dass Orbán die Menschenrechte mit Füßen trete und Seehofer ihm den roten Teppich ausrolle. Er verweist auf die Solidarität der EU mit Ungarn. Das Land habe im vergangenen Jahr fünf Milliarden Euro mehr erhalten als in die Gemeinschaftskasse eingezahlt.

Bund und Länder wollen bei ihrem Treffen heute eine Einigung über die Flüchtlings-Finanzierung finden. Bislang hat der Bund drei Milliarden zusätzlich zugesagt. "Sechs Milliarden Euro wären angemessen", sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) in Berlin. Den Ländern schwebt vor, dass der Bund diese Summe in Form einer Pauschale pro Flüchtling zahlt, damit sie ihre Kosten besser decken können. Denkbar sei eine "Pauschale, die die Hälfte der Unterbringungskosten abdeckt", meint Oppermann.

(may- / qua)
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