Düsseldorf Sind die Kritiker Israels automatisch Antisemiten?

Düsseldorf · Man kann es so sehen: Antisemitismus ist eine Krankheit, bei der sich die Erkrankten urgesund fühlen. An dieser unheilbaren Krankheit stirbt nicht der Antisemit, sondern – im schlimmsten, historisch millionenfach belegten Fall – das Zielsubjekt des hass-triefenden Ressentiments. Ist Antisemitismus eine Volkskrankheit? Das könnte man meinen, denn nach jüngsten Erhebungen sind 22 Prozent der Deutschen befallen.

Schwierig wird es, zu ergründen, ob Israel-Kritik ein Zeichen für Antisemitismus ist. Drei fabelhaft aufgelegte Diagnostiker machten sich bei einem Symposium des German Innovation Center Herzliya-Düsseldorf an die Arbeit: der Publizist Henryk M. Broder sowie die Sprach- beziehungsweise Politikwissenschaftler Georg Stötzel (Düsseldorf) und Wolfgang Kraushaar (Hamburg).

RP-Chefredakteur Sven Gösmann sprach als Diskussionsleiter von einem "weiten Ritt durch ein unangenehmes Feld". Dieses Feld wird weltweit bestellt, mit der Besonderheit, dass sich in Deutschland niemand öffentlich zum Antisemiten erklärt, es sei denn, er sei dumm, ein Extremist oder beides zusammen.

Kraushaar, früheres Mitglied der linken Szene, erforscht seit Langem einen spezifisch linken Antisemitismus. "Die Kritik am Staat Israel ist nicht per se Ausdruck einer antisemitischen Haltung", sagte er. Sie sei es dann, wenn die Kritikwürdigkeit israelischer Politik zu etwas ganz anderem, zu weiteren, eben antisemitischen, antizionistischen Zwecken instrumentalisiert werde.

Broder machte es kurz: Die Israel-Kritik mancher Intellektueller sei zu einem Beruf geworden "wie Eventmanager, nur etwas angesehener". Der Antisemit von heute schmeiße Juden keine Schaufenster ein, er sage dafür Sätze wie, Israel sei die Weltgefahr Nummer eins. Broder ist seit Jahren schon einem Sekundär-Antisemitismus auf der Spur, der den "ehrlichen Antisemiten" zur ausgestorbenen Spezies mache wie die legendäre Kaltmamsell oder den Heizer auf der E-Lok.

Manche glauben, der Antisemit verrate sich durch seine Wortwahl. Ist Jakob Augstein, Broders "Lieblings-Antisemit", wirklich ein heimlicher Antisemit? Ist Augsteins leiblicher Vater, der Dichter Martin Walser, ein Antisemit, weil er in seiner Paulskirchenrede 1998 von der "Auschwitz-Keule" sprach?

Sprachforscher Stötzel warnte vor der leichtfertigen Etikettierung. Nicht jeder, der sich törichterweise aus dem "Wörterbuch des Unmenschen" (Dolf Sternberger) bediene, sei Antisemit. Und so mancher Freak, dem zum sogenannten Waldsterben der Begriff "Ökologischer Holocaust" einfiel, ist mehr Tropf als Antisemit. Wer jedoch auf die sprachlich-gedanklich schiefe Bahn rutscht und etwa "die Araber zu den Opfern der Juden" stempelt, so wie "die Juden Opfer der Nazis" wurden, der ist kein Simpel; er drapiert vielmehr seinen Salon-Antisemitismus durch in bestimmten Kreisen politisch völlig korrekten Antizionismus.

(RP)
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