Analyse So funktionieren Mütter- und Frührente

Berlin · Trotz der Warnungen der Wirtschaft hat die große Koalition den Weg für die teuerste Rentenreform seit Adenauer freigemacht. Das bedeutet mehr Geld für Hunderttausende Frauen und ältere Arbeitnehmer.

Analyse: So funktionieren Mütter- und Frührente
Foto: dpa, mut kno htf

Die Kernelemente des gestern festgezurrten Rentenpakets sind die Mütterrente und die abschlagsfreie Rente ab 63, die ab 1. Juli gelten sollen. Die Regelungen im Detail.

Wer bekommt mehr Mütterrente?

Frauen (und Männer), die ihre Kinder vor 1992 geboren und hauptsächlich erzogen haben, haben Anspruch auf eine um 28,14 Euro (Osten: 25,74 Euro) höhere Rente pro Kind und Monat. Das sind 9,3 Millionen Frauen und 150 000 Männer. Hintergrund ist, dass für sie ab dem 1. Juli ein zusätzliches Erziehungsjahr bei der Rente gutgeschrieben wird und zwei Jahre pro Kind angerechnet werden. Bisher war es nur ein Jahr. So soll die Gerechtigkeitslücke etwas geschlossen werden. Für jedes Kind, das nach 1992 geboren wurde, gibt es weiter drei Jahre gutgeschrieben.

Wie sieht es für Mütter aus, die bisher keine Rente erhalten?

Voraussetzung für Zahlung einer gesetzlichen Rente ist, dass man mindestens fünf Versicherungsjahre nachweisen kann. Durch die Reform kann nun eine Frau, die vor 1992 drei Kinder geboren hat und nie erwerbstätig war, erstmals Rente bekommen. Denn bislang wurden ihr für drei Kinder drei Jahre gutgeschrieben, so dass sie die Voraussetzung für eine Rente nicht erfüllte. Künftig sind es sechs Jahre und sie erhält rund 168 Euro Rente pro Monat.

Wie sieht es für Beamtinnen und Selbstständige aus?

Beamtinnen, Pensionärinnen und Selbstständige, die zeitweise in die Rentenversicherung eingezahlt haben oder allein aufgrund ihrer hohen Kinderzahl mindestens fünf Versicherungsjahre vorweisen können, haben ebenfalls Anspruch auf eine höhere Mütterrente.

Wird das Geld mit der Juli-Rente überwiesen?

Die erhöhte Mütterrente gilt ab dem 1. Juli. Aus organisatorischen Gründen wird sie aber erst im Herbst rückwirkend ausgezahlt. Zudem handelt es sich dabei um Brutto-Zahlungen. Auf sie müssen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gezahlt werden sowie Einkommensteuer, falls die Empfängerin steuerpflichtig ist.

Gibt es eine Nachzahlung für vergangene Jahre?

Nein. Die Erhöhung soll, wenn Bundestag und Bundesrat zustimmen, ab Juli wirksam werden. Nachzahlungen für Zeiträume vor dem 1. Juli 2014 wird es nicht geben. Solche Stichtags-Regelungen sorgen zwar stets für Ärger, sind in der Sozialversicherung aber üblich.

Muss die Rente beantragt werden?

Grundsätzlich nicht. Wer Rentnerin ist und bereits die Erziehungszeiten bei der Rente geltend gemacht hat, also heute schon eine Mütterrente bezieht, erhält den Zuschlag für das zweite Erziehungsjahr automatisch. Auch wer noch nicht Rentner ist, aber die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten bereits geltend gemacht hat, braucht nicht von sich aus tätig zu werden. Nur Rentner und Arbeitnehmer, die ihre Erziehungsjahre noch nie geltend gemacht haben, müssen einen Antrag bei der Rentenversicherung stellen.

Wird die Mütterrente auf die Grundsicherung angerechnet?

Ja. Wer mehr Mütterrente bekommt, wird also entsprechend an Grundsicherung verlieren. Denn Grundsicherung ist eine Fürsorge-Leistung; durch die höhere Mütterrente verringert sich die Bedürftigkeit ein wenig. Knapp drei Prozent der Anspruchsberechtigten leben von der Grundsicherung im Alter.

Was ist mit Top-Verdienern?

Es gibt einige Frauen, die kurz nach der Geburt wieder erwerbstätig waren und deren Verdienst so hoch lag, dass sie bis zur Beitragsbemessungsgrenze in die Rentenversicherung einbezahlt haben. Ihr Rentenanspruch ist bereits maximal, kann sich also nicht mehr erhöhen. Diese Frauen haben also nichts von der neuen Mütterrente.

Wer kann die Rente mit 63 nutzen?

Wer 63 Jahre (und älter) ist, 45 Jahre lang in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat und noch keine Rente bezieht, kann ab 1. Juli 2014 die "Altersrente für langjährig Versicherte" bekommen. Das sind laut Bundesarbeitsministerium anfänglich 200 000 Personen. Wer bereits im Ruhestand ist, kann die neue Regelung nicht nachträglich nutzen. Jedoch kann ein Rentenantrag zurückgenommen werden, solange noch kein bindender Rentenbescheid erteilt wurde.

Warum steigt die Grenze?

Da die Regelaltersgrenze schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben wird, steigt auch die Grenze zur "Altersrente für langjährig Versicherte". Wer Jahrgang 1953 ist, kann (wenn alle anderen Voraussetzungen erfüllt sind) mit 63 Jahren und zwei Monaten gehen, Jahrgang 1954 mit 63 Jahren und vier Monaten und so fort. Für die Jahrgänge ab 1964 liegt die Grenze für den vorzeitigen Rentenbeginn bei 65 Jahren.

Welche Zeiten zählen?

Bei der Berechnung der 45 Versicherungsjahre zählen alle Zeiten, in denen der Betroffene (sozialversicherungspflichtig oder selbstständig) gearbeitet und Pflichtbeiträge an die Rentenkasse gezahlt hat. Es zählen auch Zeiten aus Wehr- und Zivildienst. Nicht berücksichtigt werden dagegen Zeiten des Schul- und Hochschulbesuchs.

Wie werden Selbstständige behandelt, die freiwillig in die Rentenkasse gezahlt haben?

Die CSU hat durchgesetzt, dass Selbstständige, die 18 Jahre Pflicht-Beiträge vorweisen können und danach weiter freiwillig in die Rentenkasse eingezahlt haben, ebenfalls abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen können. Dadurch werden sich die Kosten des Rentenpakets um jährlich 100 bis 200 Millionen Euro erhöhen, sagte Nahles. Derzeit zahlen 300 000 Selbstständige freiwillig Beiträge.

Werden bei Arbeitnehmern Zeiten der Arbeitslosigkeit anerkannt?

Die Fraktionsspitzen einigten sich, bei der Berechnung der Versicherungsjahre alle Zeiten zu berücksichtigen, in denen der Betroffene die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I bezogen hat. Die Union gab damit ihre Forderung auf, die Anrechnung auf fünf Jahre Arbeitslosigkeit zu begrenzen. Dagegen werden Zeiten, in denen der Betroffene die Fürsorgeleistung Hartz IV (Arbeitslosengeld II) erhalten hat, gar nicht angerechnet.

Wie will die Koalition eine Frühverrentungswelle verhindern?

Um auszuschließen, dass Arbeitnehmer künftig bereits mit 61 Jahren arbeitslos werden, um dann nach zwei Jahren abschlagsfrei in Rente zu gehen, will die Koalition einen "rollierenden Stichtag" einführen. Demnach sollen jeweils die letzten zwei Jahre Arbeitslosigkeit vor dem Renteneintritt nicht auf die erforderlichen 45 Versicherungsjahre angerechnet werden. Der Stichtag ist nicht fix, sondern wird schrittweise in die Zukunft verlagert. Das ist nötig, weil auch die Rente mit 63 nicht fix ist: Die Renteneintrittszeit auch für die Älteren, die ab diesem Jahr mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen können, steigt bis zum Jahr 2029 schrittweise. Im Jahr 2029 werden Ältere dann erst mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können.

(mar, qua)
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