Madrid Spanien muss neu wählen

Madrid · In Madrid ist die Regierungsbildung gescheitert - die Dialogbereitschaft fehlt. Das Land ist unregierbar, aber viele Spanier schreckt das wenig.

Madrid: Spanien muss neu wählen
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Am Ende ist eingetroffen, was viele Beobachter befürchtet haben: Die neue Zersplitterung in der spanischen Politik hat nicht zu mehr Dialog geführt, sondern das Land unregierbar gemacht. Bis gestern hätten sich der Verfassung zufolge die Parteien auf eine neue Regierung einigen müssen. Sie sind gescheitert, nun wird das Parlament aufgelöst. Am 26. Juni gibt es Neuwahlen.

Es gibt viele Gründe für das Scheitern. Der wichtigste: Spaniens Politikern fehlt es schlicht an der Dialogbereitschaft, wie sie die ehemaligen Bürgerkriegsfeinde nach dem Tode des Diktators Francisco Franco 1975 ausgezeichnet hat. Jene Politiker sucht man in Spanien heute vergeblich. Rechte und Linke stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Das gilt vor allem für die linke Podemos ("Wir können"). Seit einem Jahr stellt sie die alten Volksparteien als "Kaste" an den Pranger, die das politische System zum Selbstbedienungsladen gemacht habe. Der Vorwurf ist nicht aus der Luft gegriffen. Die Partien sichern sich ihre Posten nicht nur in der Politik, sondern auch in öffentlichen Betrieben. Auch bei der Justiz verstärkt sich der Eindruck, der Einfluss der Parteien habe überhandgenommen.

So war die Hoffnung groß, die neuen Kräfte könnten das korrigieren. Die Sozialisten, die bei der Wahl nur noch knapp vor Podemos lagen, hatten sich zwar mit den bürgerlich-liberalen Ciudadanos ("Bürger") auf ein Regierungsprogramm geeinigt. Doch zum Regieren hätten sie zumindest die Enthaltung von Podemos benötigt. Podemos ihrerseits wollte keinesfalls ein Bündnis mit Ciudadanos unterstützen - sie hält sie für "neoliberal". Ausschlaggebend war nicht zuletzt auch das Streben von Podemos, die Sozialisten als große sozialdemokratische Volkspartei nach Neuwahlen zu überholen. So gab es kein Abkommen über die Lagergrenzen hinweg, das in Deutschland mit einer Koalition aus FDP, SPD und der Linken vergleichbar gewesen wäre.

Auf der anderen Seite wollte aber auch niemand mit dem amtierenden Ministerpräsidenten Mariano Rajoy verhandeln, von einer großen Koalition ganz zu schweigen. Täglich steht die konservative Volkspartei wegen illegaler Parteienfinanzierung und korrupter Politiker in den Schlagzeilen. Im Herbst wird der Prozess um das Korruptionsnetzwerk "Gürtel" eröffnet. Die Volkspartei ist wie ein Leprakranker, mit dem niemand in Berührung kommen möchte.

Das Ergebnis ist, dass Spanien seit den Wahlen im Dezember keine handlungsfähige Regierung hat. Der Politologe Pablo Simón berichtet von Treffen mit verunsicherten ausländischen Unternehmensvertretern, die Investitionen zurückhalten, bis es eine Regierung gibt.

Die Spanier schreckt das allerdings wenig. Für viele kann es kaum schlimmer kommen. Trotz guter Wachstumszahlen liegt die Arbeitslosenquote immer noch bei 21, unter Jugendlichen bei 46 Prozent. Immer noch werden neue Arbeitsverträge nur über Tage abgeschlossen. Bei Neueinstellungen liegt das Bruttogehalt nicht selten bei unter 1000 Euro. Auch bei der Staatsverschuldung steht die Regierung Rajoy nicht so gut da, wie sie selbst glauben machen will. Für 2016 hat sie einen Haushalt vorgelegt, mit dem das EU-Ziel von unter drei Prozent Defizit nicht einzuhalten ist.

Sollte aus den Neuwahlen tatsächlich eine neue Regierung hervorgehen, müsste sie in den verbleibenden Monaten 26 Milliarden Euro zusätzlich kürzen. Wer das bewerkstelligen soll, weiß niemand. Den Umfragen zufolge wird es auch diesmal keine klare Mehrheit geben.

(RP)
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