SPD Die K-Frage quält die Genossen

Berlin · Wer wird Kanzlerkandidat der SPD? Greift Parteichef Gabriel in der aktuellen Phase interner Stärke zu? Oder überlässt er angesichts nur geringer Beliebtheit anderen wie Martin Schulz das Rennen? Die Nerven liegen bereits blank.

Das ist Sigmar Gabriel
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Das ist Sigmar Gabriel

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Ist SPD-Chef Sigmar Gabriel nun der beste Kanzlerkandidat für die Partei? Keine andere Personalentscheidung treibt die Sozialdemokraten derzeit so sehr um. Doch während aus der Parteispitze in der Sache kaum Regungen zu vernehmen sind, brodelt es in der SPD-Bundestagsfraktion und den Landesverbänden angesichts weiterhin schlechter Umfragewerte spürbar. Dort haben es viele satt - Unterstützer und Kritiker Gabriels gleichermaßen -, in Ungewissheit gelassen zu werden und von Mitgliedern des Präsidiums nur stets den Satz zu hören: Gabriel habe als Parteichef das Zugriffsrecht. Das ist nur noch eine Phrase.

Der Chef der SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, Norbert Römer, griff deswegen in die Tasten und verfasste auf dem wenig bekannten "Blog der Republik" ein Plädoyer für Gabriel als künftigen Kanzlerkandidaten. Es ist ein Signal an den Parteichef und ein bewusst gesetztes Signal an die sich über Gabriel streitenden Genossen in der gesamten Republik. "Ich halte Sigmar Gabriel ohne Abstriche für geeignet, der nächste Kanzler zu werden", schreibt Römer. Gabriel kenne das Land und die Menschen mit ihren Problemen. Deswegen sei er "der richtige Mann für die SPD".

Für Kraft wäre eine entschiedene K-Frage wichtig

Überrascht war darüber kein Sozialdemokrat, zumal Römer auch vor der ersten Berichterstattung über den Beitrag in der "Süddeutschen Zeitung" keinen Hehl aus seiner Unterstützung für Gabriel gemacht hatte. Aber: Römer ist einer der engsten Vertrauten von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, sie die Chefin des einflussreichsten SPD-Landesverbandes. Sein Wort hat Gewicht. Und für Kraft ist es wichtig, dass die K-Frage so früh wie möglich vor der anstehenden Landtagswahl im kommenden Mai entschieden wird. Eine Personaldebatte um den Spitzenkandidaten im Bund wäre für sie fatal.

Diesem Druck ist man im anderen großen SPD-Landesverband, dem in Niedersachsen, nicht ausgesetzt. Und so konfrontierten am Donnerstag mehrere Mitglieder der Landesgruppe im Bundestag den ebenfalls niedersächsischen SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann mit ihren Vorbehalten gegen Sigmar Gabriel als möglichen Kanzlerkandidaten. An der Basis weigere man sich immer häufiger, für Gabriel Wahlkampf zu betreiben, hieß es gestern zur Begründung. Nahezu wortgleiche Äußerungen gibt es aus Bayern, Hessen und Baden-Württemberg.

Und das, obwohl Gabriel derzeit eigentlich eine Phase parteiinterner Stärke durchläuft. Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus konnte die SPD ihre Regierungsämter verteidigen - auch wenn die Berliner Wahl mit 21,6 Prozent für die Sozialdemokraten in Wahrheit ein Desaster war. Dennoch: Gabriel konnte sie mühelos als Sieg verkaufen. Wie einst im März, als Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz einen Erfolg einfuhr und so das schlechte Abschneiden der SPD im Osten in den Schatten stellte.

Einen weiteren Punktsieg errang Gabriel nur einen Tag nach der Berliner Abstimmung. Die Genossen hielten einen mit Spannung erwarteten Parteikonvent zum europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen Ceta ab und versammelten sich in Wolfsburg hinter einem - bis zur letzten Minute heftig umkämpften - Leitantrag Gabriels. Zwar dürfte die Debatte um das Abkommen im Zuge internationaler Abstimmungen noch einmal in der Partei hochkochen, fürs Erste hat der SPD-Chef die Nagelprobe aber bestanden.

Vorbei ist also die Schwächephase nach dem Bundesparteitag im vergangenen Dezember in Berlin, als Gabriel mit nur 74,3 Prozent im Amt des Vorsitzenden bestätigt wurde. Damals spielte er tatsächlich mit dem Gedanken, ob er nicht einfach hinwerfen solle.

Das lastet nun nicht mehr auf ihm, jedenfalls gäbe es für einen Rücktritt keinen konkreten Anlass. Und so ist derzeit ein Gabriel zu beobachten, der es noch einmal wissen will. Ein aktuelles Beispiel: Vor seiner Reise als Bundeswirtschaftsminister morgen in den Iran, bei der es eigentlich um neue Absatzgeschäfte für deutsche Unternehmen auf dem nun wieder geöffneten Markt gehen wird, positionierte sich Gabriel als außenpolitisch bewanderter Staatsmann. In einem Interview mit "Spiegel Online" kündigte er am Freitag an, bei aller Hoffnung auf engere deutsch-iranische Wirtschaftsbeziehungen auch einige strittige politische Themen anzusprechen: Irans Unterstützung für Assads Regime im Syrien-Krieg und die fehlende Anerkennung von Israels Existenzrecht.

Und diese Seiten schätzen fast alle Genossen an ihm, seinen Mut, sein Gespür für wichtige Themen, seine Durchsetzungsstärke. Dennoch haftet ihm hartnäckig die Kritik an, sprunghaft zu sein, Menschen immer wieder vor den Kopf zu stoßen, keinen klaren Kurs zu fahren.

Und so bleiben drei Szenarien für die Kandidatenkür, die nicht ohne den Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz zu erklären sind. Beide stünden wohl für eine Kandidatur bereit, würde Gabriel sie bitten. Keiner von beiden würde jedoch derzeit eine Kampfkandidatur wagen. Zumal vor allem Schulz trotz gelegentlicher Reibereien ein loyaler Freund Gabriels ist. Erstens könnte Gabriel also die Kandidatur für sich reklamieren. Dann wäre alles klar. Zweitens könnte Gabriel Schulz den Vortritt gewähren. Der hätte jedoch das Luxusproblem, sich zwischen Traumjob in Brüssel und dem Dienst für die Partei zu entscheiden - vorausgesetzt, die Konservativen im Europaparlament gewähren ihm eine weitere Amtszeit ab kommendem Januar. Als drittes Szenario käme in Frage, dass Gabriel bis nach dem Jahreswechsel keine Entscheidung trifft. Dann hält es mancher Genosse für möglich, dass Scholz doch noch die Machtfrage stellt - und sie auch gewinnt.

(jd)
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