SPD-Generalsekretär Klingbeil im Interview "Ich werde der SPD einiges abverlangen"

Düsseldorf/Berlin · Der neue SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil spricht im Interview über eine schonungslose Erneuerung der SPD. Der Niedersachse hat sein politisches Handwerk als Mitarbeiter des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder gelernt.

 Lars Klingbeil (Archivbild).

Lars Klingbeil (Archivbild).

Foto: dpa, bvj exa

Wir treffen den 39-jährigen Klingbeil in einem schmucklosen Büro in den Messehallen in Berlin. Er gehört zu den wenigen Sozialdemokraten, die ihre gute Laune über das schlechte Wahlergebnis hinweg gerettet haben.

Herr Klingbeil, Sie haben als neuer Generalsekretär lediglich 70 Prozent der Delegiertenstimmen erhalten. Ist das nicht ein bisschen wenig Rückhalt für den Erneuerungsprozess?

Klingbeil Das ist ein Ergebnis, das mir ein klares Mandat für die Erneuerung der SPD gibt. Ich werde der Partei einiges abverlangen. Das Desaster bei der Bundestagswahl ist ein Auftrag für diese Erneuerung.

Wie erklären Sie sich dieses mangelnde Vertrauen?

Klingbeil Ich werde Dinge in Frage stellen, die wir in der SPD schon immer so gemacht haben. Es wird ergänzend zur klassischen Struktur von Ortsvereinen und Parteitagen neue und digitale Beteiligungsformen geben. Darüber können sich diejenigen einbringen, die zeitlich sehr eingebunden oder örtlich nicht flexibel sind. Ich denke da an junge Menschen, an Eltern mit kleinen Kindern oder Parteimitglieder, die im Ausland leben. Das sehen manche in der SPD skeptisch. Aber es ist meine Aufgabe, auch die Kritiker zu überzeugen.

Wie weitgehend denken Sie diese digitalen Beteiligungsformen?

Klingbeil Das reicht bis zu der berechtigten Forderung, dass die Online-Themenforen Delegiertenstimmen erhalten und Anträge stellen können. Für eine Partei wie die SPD wäre das geradezu revolutionär, es würde unsere Arbeit sehr verändern. Und genau da spüre ich auch Vorbehalte, die bis zu einem gewissen Punkt normal sind. Aber ich glaube, sie sind überwindbar. In unserer Lage darf es keine Denkverbote geben.

Wird es eine SPD-App geben?

Klingbeil Ich bin dafür, unseren Mitgliedern eine App anzubieten, mit der sie in der SPD kommunizieren, sich informieren und sich einbringen können. Das ist eine von vielen Ideen, die wir prüfen. Wir erreichen per E-Mail im Moment weniger als die Hälfte unserer Mitglieder. Das kann nicht so bleiben. Wir brauchen Plattformen für Mitglieder, die es auch der Parteispitze ermöglichen, ein besseres Gefühl für die Stimmung und die Wünsche der Basis zu bekommen.

Was wollen Sie besser machen als Ihre Vorgänger?

Klingbeil Ich will mich da nicht vergleichen. Ich habe meinen eigenen Stil und eigene Ideen. Aber ich werde an vieles anknüpfen, was Katarina Barley in den letzten Jahren angestoßen hat.

Warum ist die SPD in bestimmten Regionen Deutschlands so gut wie nicht mehr vertreten?

Klingbeil Das hat neben gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen auch etwas mit parteiinternen Strukturen zu tun. In Niedersachsen gibt es beispielsweise auch auf dem Land hauptamtliche Mitarbeiter der SPD, die vor Ort präsent sein können. Sowas ist in vielen ostdeutschen Ländern nicht da. Wir müssen uns übrigens auch solche Regionen genau anschauen, in denen wir besonders stark sind, um von ihnen zu lernen.

Ein Ergebnis des Parteitags ist, dass es einen weiteren Parteitag zur Abstimmung über Sondierungen geben soll. Das kostet viel Geld. Könnte sich die SPD auch Neuwahlen noch leisten?

Klingbeil Ein klares Ja. Wir werden jetzt ergebnisoffene Gespräche führen und an der besten Lösung für das Land und die SPD arbeiten. Wenn keine Koalition zustande kommt, wird es einen kurzen und intensiven Wahlkampf geben.

Ist die Wahrscheinlichkeit einer großen Koalition gestiegen?

Klingbeil Wie das?

Indem nun der Ausschluss einer großen Koalition vom Tisch ist.

Klingbeil Die Skepsis in der SPD ist nach wie vor groß. Wir haben auf dem Parteitag unsere Kernforderungen für die weiteren Gespräche miteinander vereinbart. Ich bin sicher, dass wir in dieser Woche sehr schnell sehen werden, ob sich weitere Gespräche mit der Union lohnen oder nicht.

Klar ist doch aber, dass der Druck auf den Sonderparteitag und das Mitgliedervotum am Ende von Verhandlungen sehr groß ist.

Klingbeil Natürlich könnte selbst ein ausgehandelter Koalitionsvertrag am Ende noch von den SPD-Mitgliedern abgelehnt werden. Aber wir brauchen diese Rückkoppelungen mit der Basis dringend. Merkel und Jamaika haben den Karren an die Wand gefahren.

Auffällig war, dass Sigmar Gabriel in der Aussprache zur Rede des Parteivorsitzenden nicht gesprochen hat. War das hilfreich für die Debatte?

Klingbeil Sigmar Gabriel hat in den vergangenen Wochen immer wieder hilfreiche Impulse gesetzt. Er wird in den Gesprächen mit der Union eine Rolle spielen. Warum er sich in die Debatte nicht eingebracht hat, weiß ich nicht.

Ein Thema, über das Sie sich mit ihm viel gestritten haben, ist die Vorratsdatenspeicherung. Muss die Union auch der SPD so entgegenkommen, wie sie es bei Jamaika tat?

Klingbeil Meine Position hat sich nicht geändert: Anlassloses Speichern von Daten ist falsch. Die SPD hat mehrheitlich eine andere Position gefunden, die ich akzeptieren muss. Nun haben Gerichte die anlasslose Vorratsdatenspeicherung erneut in Frage gestellt. Die Union hat sich in den Jamaika-Verhandlungen für eine anlassbezogene Speicherung geöffnet. Das ist definitiv eine spannende Entwicklung, die wir sehr genau beobachtet haben.

Ist das Finanzministerium künftig wichtiger für Ihre Partei als das Auswärtige Amt?

Klingbeil Wir sind meilenweit davon entfernt, über personelle Verantwortung in einer möglichen Regierung zu reden.

Wir fragten ja auch nicht nach Personen, sondern nach der Bedeutung eines Ministeriums.

Klingbeil Aber auch die Ressortverteilung gehört gerade nicht zur Debatte. Es geht um Inhalte und Vertrauen. Wir müssen die Milliardenspielräume etwa für Investitionen Bildung und Pflege nutzen. Wir brauchen eine neue Europapolitik. Der französische Präsident wartet seit Monaten auf eine deutsche Antwort auf seine Reformpläne. Die nächste Regierung, egal wie sie aussehen mag, muss einen klar pro-europäischen Kurs haben. Das wird für uns ein zentraler Punkt sein.

Auch im Finanzministerium?

Klingbeil Guter Versuch.

Muss die SPD stärker nach links rücken, um wahrnehmbar zu bleiben?

Klingbeil Wir müssen vor allem klarer und mutiger in unseren Positionen werden. Dann werden wir auch wieder als echte Alternative zur Union wahrgenommen.

Wird die SPD in ihrem Erneuerungsprozess die Agenda 2010 neu bewerten müssen?

Klingbeil Die SPD hat das schon so oft debattiert und bereits an einigen Punkten Abstand genommen. Es geht jetzt nicht um rückwärtsgewandte Diskussionen, sondern um Ideen für die Zukunft. Wichtig ist aber das Thema, wie wir einen starken Sozialstaat im digitalen Wandel gestalten können. Darauf werden wir Antworten geben.

Ist Gerhard Schröder wegen der Rosneft-Entscheidung zu einer persona non grata für die SPD geworden?

Klingbeil Gerhard Schröder ist ein sehr erfolgreicher Parteivorsitzender und Bundeskanzler gewesen. Er gehört für mich zur SPD dazu.

Sollte man ihn rehabilitieren als Mutmacher in der Erneuerung?

Klingbeil Niemand in der Partei will einen persönlichen Bruch mit Gerhard Schröder. Über alles andere reden wir mit ihm direkt.

Täte dem Land eine Regierung bis Ostern gut?

Klingbeil Es gibt eine geschäftsführende Bundesregierung. Wir haben also keinen Zeitdruck.

Das Wort des Jahres ist "Jamaika-Aus". Können Sie sich vorstellen, dass das Wort des Jahres 2018 etwas mit Groko zu tun haben wird?

Klingbeil Ich hoffe, dass es etwas mit Erneuerung sein wird.

Jan Drebes und Holger Möhle führten das Gespräch.

(jd / hom)
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