Unzufrieden mit der GroKo SPD-Landesfürsten schimpfen auf Berlin

Berlin · Energiewende, Doppelpass, Verkehrsfinanzierung - die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten sind unzufrieden mit der GroKo.

Noch nie hat eine Regierungsbildung so lange gedauert wie die zur amtierenden großen Koalition, und noch nie waren so viele Landespolitiker eingebunden wie im vergangenen Herbst. Und wie die Landesfürsten bei den Kompromissen für den Koalitionsvertrag mit am Tisch gesessen haben, wollen sie auch bei den Gesetzen mitreden, die in Berlin gemacht werden.

Bei NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Schleswig-Holsteins Regierungschef Torsten Albig und der Rheinland-Pfälzerin Malu Dreyer ist Berechnung dabei. Wenn sie nicht ab und zu in Richtung Hauptstadt die Faust schütteln, droht ihnen Ärger in ihren eigenen rot-grünen Koalitionen zu Hause.

So schlossen sich nicht zufällig Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein der Gesetzesinitiative des grün-rot regierten Baden-Württemberg für eine viel weitergehende Regelung der doppelten Staatsbürgerschaft an, als dies der Koalitionsvertrag vorsieht. Das war ein Affront gegen die Bundesregierung. Dreyer bekundete, ihr gingen die Pläne der Bundesregierung nicht weit genug. Albig nannte die Pläne der großen Koalition sogar ein "riesiges, integrationsfeindliches Bürokratiemonster". Seine drastische Wortwahl gegen die Politik in Berlin stößt dort mittlerweile auf völliges Unverständnis. Er ist eindeutig der lauteste und heftigste Kritiker der Bundesregierung in der Riege der Ministerpräsidenten.

Kraft ließ damals die Finger von der Bundesratsinitiative. Doch als Statthalterin der großen Koalition sieht sie sich dennoch nicht. "Ich leite eine rot-grüne Regierung und vertrete die Interessen der Länder", sagt sie jedes Mal schnippisch, wenn sie auf ihre Rolle als vermeintliche Mehrheitsbeschafferin des schwarz-roten Bündnisses im Bundesrat angesprochen wird. Auch ihre Abrechnung vor knapp zwei Wochen mit der Bundespolitik und den Intrigen in der Parteiführung belegt, dass sie sich nicht zur Solidarität mit den Projekten verpflichtet fühlt, die Parteichef Sigmar Gabriel anschiebt. Die "Art und Weise, wie in Berlin Politik gemacht wird", widerspreche ihrer Haltung, sagte sie.

Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz spielt in der Riege der SPD-Landeschefs eine Sonderrolle. Er regiert allein und muss sich nicht mit Gestänker gegen die GroKo in Berlin bei einem Grünen-Bündnispartner beliebt machen. Der Hanseat war sogar ein ausdrücklicher Befürworter der Koalition mit der CDU im Bund.

Doch auch Scholz fremdelt mit Berlin. In Hamburg macht man wegen der Ausgestaltung des Mindestlohns die Faust in der Tasche. Dass die Ausnahme von 8,50 Euro pro Stunde nur für Jugendliche bis 18 Jahre gelten soll, halten die Hamburger für einen Fehler. In der Großstadt, in der man mit einer hohen Schulabbrecher-Quote kämpft, hätte man sich eine höhere Altersgrenze gewünscht, um mehr junge Menschen zu einer Ausbildung zu motivieren. Zudem gilt das Verhältnis von Parteichef Sigmar Gabriel und Partei-Vize Scholz als angespannt, seit dem Hamburger rund um die Bundestagswahl Umsturzpläne gegen Gabriel nachgesagt wurden. Damals hieß es, Kraft und Scholz könnten im Willy-Brandt-Haus das Ruder übernehmen.

Für reichlich Konfliktstoff sorgt auch die Energiewende, obwohl die SPD-Länder dabei keineswegs an einem Strang gegen Berlin ziehen. Als Gabriel seine Grundzüge für die Ökostrom-Reform im Januar erstmals vorstellte, giftete Albig aus dem hohen Norden, die Pläne seien "unnötig teuer" und "ökonomisch unsinnig". Malu Dreyer warnte vor dem Verlust von Arbeitsplätzen durch Gabriels Energiewende, und auch Kraft meldete Nachbesserungsbedarf an.

Der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin geht es wie auch den anderen Landesfürsten vor allem darum, knallhart die finanziellen Interessen ihres jeweiligen Bundeslandes zu wahren. Auch die Forderung des Schleswig-Holsteiners Albig nach der 100-Euro-Abgabe für Autofahrer, die in diesen Tagen für Aufregung sorgt, gehört in diese Kategorie. Der Vorstoß war so etwas wie der Trommelwirbel für die Klagen über die Finanznot der Länder bei der Verkehrsfinanzierung.

NRW-Landesmutter Kraft geht eher pragmatisch vor. Sie nimmt - wie im Fall des vorzeitigen Endes des Braunkohle-Abbaus am Niederrhein oder bei den erneuerbaren Energien - Positionen ein, die den Koalitionsfrieden in NRW erhalten. In die Kritik an der Energiewende stimmte sogar der sonst so zurückhaltende niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil ein, der auch eine rot-grüne Regierung führt, von dem aber sonst keine bösen Worte gegen Berlin zu hören sind. Das mag daran liegen, dass er als Niedersachse viele enge Kontakte zur SPD-Führung in Berlin hat.

(qua)
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