Kanzlerkandidat Gabriel kommt aus der Deckung

Berlin · Der SPD-Vorsitzende kündigt seine Bereitschaft zur Kanzlerkandidatur an - während die Union weiter Anhänger verliert.

 Ein fiktives Wahlplakat für einen SPD-Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel - nachempfunden einem Willy-Brandt-Plakat von 1972. Einfach auf "Vergrößern" klicken.

Ein fiktives Wahlplakat für einen SPD-Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel - nachempfunden einem Willy-Brandt-Plakat von 1972. Einfach auf "Vergrößern" klicken.

Foto: graf

Sigmar Gabriel befand sich schon hoch über den Wolken auf dem Weg zu Wladimir Putin nach Moskau, als am Mittwoch eine Nachricht die Runde machte, die nicht nur für Gabriels eigene politische Zukunft wegweisend ist. "Natürlich will ich Bundeskanzler werden, wenn die SPD mich aufstellen will. Das ist doch gar keine Frage", sagte Gabriel dem Magazin "Stern".

Nun ist es also raus. Ein Zurück gibt es für Gabriel jetzt nicht mehr. Ob Sätze aus dem Zusammenhang gerissen wurden, ob sie nur ein PR-Unfall waren und er seine Kanzlerkandidatur nicht wirklich hatte ankündigen wollen - oder ob er doch aus Kalkül handelte, bleibt dahingestellt. Gabriel wird der Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2017 sein - vorausgesetzt, es gibt keine Gegenkandidaten. Wenn doch, müsste Gabriel eine Mitgliederbefragung gewinnen.

Traditionell hat der SPD-Vorsitzende ohnehin das erste Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur. Dennoch wurde bis gestern spekuliert, ob Gabriel wirklich zugreifen würde - oder ob er die Kandidatur nicht doch jemand anders überlässt, der bei der Wahl größere Chancen hätte. Die Beliebtheitswerte Gabriels sind seit Jahren niedrig, die von Außenminister Frank-Walter Steinmeier dagegen hoch.

Im Sommer wurde bei den Sozialdemokraten debattiert, ob über die Kandidatenfrage nicht in einer Urwahl der Parteimitglieder abgestimmt werden sollte. Gabriel selbst hatte sich dafür offen gezeigt - allerdings erst in einer Reaktion auf eine Diskussion, die der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ausgelöst hatte.

Albig hatte Ende Juli angesichts der hohen Popularität der Bundeskanzlerin einen Sieg seiner Partei bei der Bundestagswahl offen infrage gestellt: Es sei schwer, gegen diese Kanzlerin zu gewinnen, eine bloße Regierungsbeteiligung könne daher auch Wahlziel für seine Partei sein. Albig stellte auch infrage, ob die Bezeichnung Kanzlerkandidat für die SPD überhaupt noch passe.

Jetzt beginnt sich das Blatt für die SPD jedoch zu wenden. Angela Merkel ist angeschlagen, die Umfragewerte der Union sinken derzeit rapide. In der Flüchtlingskrise wenden sich viele in den Unionsparteien, vor allem in der CSU, vom Kurs der Kanzlerin ab, die für ein offenes und humanitäres Deutschland steht. In der gestern veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sackte die Union um zwei Prozentpunkte auf 36 Prozent ab, ihren schlechtesten Wert bei Forsa seit drei Jahren. Davon profitiert nicht die rechtspopulistische AfD, deren Zustimmungswert bei Forsa um einen Punkt auf sechs Prozent sinkt. Die FDP wiederum legte um zwei Punkte zu und landet jetzt bei sechs Prozent. Die SPD verharrt bei 24 Prozent, die Grünen bei elf Prozent. Die Linkspartei verliert einen Punkt auf neun Prozent.

Für SPD-Vize Ralf Stegner kommt die Äußerung Gabriels daher zur richtigen Zeit. "Diese Ankündigung von Sigmar Gabriel passt gut in eine Zeit, in der große Orientierungslosigkeit in der Union herrscht", sagte Stegner. "Gestern noch galt Merkel als unschlagbar, heute ist das schon nicht mehr so." Die SPD zeige Verlässlichkeit und Selbstbewusstsein. "Ich finde gut, dass CDU und SPD in den Umfragen beginnen, sich anzunähern", fügte er hinzu. "Natürlich ist Gabriel der richtige Kandidat. Ein Parteivorsitzender, der nicht Kanzler werden will, wäre an der falschen Stelle", sagte Stegner.

Es sind aber noch zwei Jahre bis zur Bundestagswahl, in der Politik eine unendlich lange Zeit. Für viele in der SPD kommt die Äußerung Gabriels, die wie eine Ankündigung interpretiert wird, auch wenn sie es nicht sein sollte, viel zu früh. Geschickter wäre es gewesen, genüsslich abzuwarten, wie sich die Union in der Flüchtlingskrise zerlegt, und dann erst aus der Deckung zu kommen, ist aus der SPD zu hören. Entsprechend rar waren gestern die Reaktionen der Parteifreunde - außer Stegner wollte sich gestern niemand aus der Führungsriege der SPD zu der Nachricht äußern.

Viele halten Gabriel seine Sprunghaftigkeit vor. Erst unlängst wieder überraschte er die Partei, als er sich für eine Mann-Frau-Doppelspitze aussprach, die in der SPD bisher noch gar nicht Konsens geworden ist. Zuvor schon hatte Gabriel seiner Partei viel zugemutet, weil er sich bei der Vorratsdatenspeicherung auf Forderungen der Union eingelassen und so Justizminister Heiko Maas (SPD) brüskiert hatte.

Nun steht den Sozialdemokraten am Sonntag womöglich eine weitere kleine Kehrtwende ihres Chefs bevor. Beim Treffen mit Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer dürfte sich Gabriel auf eine softe Version der Transitzonen an deutschen Grenzen einlassen. Für viele in der SPD wäre das ein Unding. Aber einen Kanzlerkandidaten dürfen sie nicht angreifen.

(jd / mar / may-)
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