Analyse Spionage-Affäre mit Nebenwirkungen

Berlin/Washington · Präsident Barack Obama ist in Deckung gegangen, aber in Washington wird die Kritik am Vorgehen der US-Geheimdienste lauter. Längst droht die politische Krise überzugreifen auf die wirtschaftlichen Beziehungen.

Robert Menendez spricht von einer "dunklen Wolke". Als solche hänge die Spionageaffäre über den deutsch-amerikanischen Beziehungen, ausgerechnet zu einer Zeit, da man Deutschland als europäische Führungsmacht brauche, schon wegen der Ukraine-Krise. Falls Barack Obama überrumpelt worden sei von den eigenen Geheimdiensten, so der Senator, dann müsse sich etwas ändern. Der Präsident müsse lückenlos unterrichtet werden von der CIA, damit er Fall für Fall abwägen könne, was größer sei: der Nutzen der Spionage oder der politische Schaden, den das Aushorchen von Verbündeten anrichte.

Menendez' Wort hat Gewicht in Washington. Der Demokrat aus New Jersey leitet den außenpolitischen Ausschuss der kleineren Parlamentskammer, und allein schon die Tatsache, dass er sich nicht hinter rhetorischen Nebelkerzen versteckt, lässt Verärgerung erkennen. Im Kongress hat sich Frust angestaut, eine gewisse Verzweiflung über Schlapphüte, die offenbar ein Eigenleben führen und die Politik ein ums andere Mal blamieren.

"Die Situation fängt an, außer Kontrolle zu geraten", warnt James Risch, ein Republikaner im Geheimdienstkomitee des Senats. Die Regierungen der USA und Deutschlands müssten sich an einen Tisch setzen "und versuchen, das zu lösen". Rischs Kollege Mark Udall, ein Demokrat, sekundiert: "Ich mache mir Sorgen, dass wir einem unserer wichtigsten Alliierten die falsche Botschaft zusenden."

Vielleicht liegt es am Überraschungseffekt, dass es die Senatoren diesmal nicht bei Floskeln belassen, wie sie als Begleitmusik zu Spionagefällen oft üblich sind. Dass eine Kanzlerin Angela Merkel den obersten CIA-Vertreter in Berlin nach Hause schickt, wirkt wie eine kalte Dusche, mit der niemand gerechnet hatte. "Ist es 1940 oder 2014?", brachte Brian Williams, beim Sender NBC Moderator der Abendnachrichten, die allgemeine Verblüffung auf eine griffige Frage.

Es ist zwar nicht das erste Mal, dass ein verbündetes Land amerikanische Agenten ausweist - 1995 war es Frankreich, das den Pariser Residenten der CIA zur "persona non grata" erklärte. Dick Holm, ein legendenumwobener Abenteurer, der einst im Kongo einen Flugzeugabsturz nur knapp überlebt hatte, flog auf bei dem Versuch, Vertrauliches über die Haltung Frankreichs zu internationalen Handelsgesprächen in Erfahrung zu bringen. Mit Holm, so erzählt es der Pulitzer-Preisträger Tim Weiner in "Legacy of Ashes", einem Buch über die CIA, mussten drei gedemütigte Spione das Land verlassen. Im Falle Frankreichs entsprach es eher dem zu erwartenden Verhaltensmuster. Aber Deutschland? Merkels Schritt sei schon deshalb bedeutsamer, schreibt die "New York Times", weil die US-Dienste mit ihren deutschen Partnern traditionell enger kooperiert hätten als mit den französischen.

Es gibt aber auch Stimmen, die halten den Trubel für nichts weiter als eine Show. Zum Beispiel Mark Lowenthal, bis 2005 Vizedirektor des National Intelligence Council, eines Analysten-Gremiums, das den Geheimdienstkoordinator in Washington berät. "Angela Merkel ist ein wenig unehrlich. Staaten spionieren einander nun mal aus, Verbündete eingeschlossen", kritisierte er bei "Newshour", einem renommierten TV-Magazin. Im Übrigen gebe es Momente, da wisse man nicht, ob sich Deutschland wirklich wie ein Alliierter verhalte, fügte Lowenthal hinzu und erinnerte an das Frühjahr 2011, als es im UN-Sicherheitsrat um Luftschläge gegen Libyen ging, die Bundesrepublik sich der Stimme enthielt und sich damit gegen Amerikaner, Briten und Franzosen stellte.

Das Weiße Haus wiederum stapelt tief. Es ist derselbe Reflex wie vor gut einem Jahr, als Edward Snowden aus dem Nähkästchen der NSA zu plaudern begann und Obama ihn in abfälligem Ton als kleinen Hacker charakterisierte. Der Präsident tourt durch Texas, wo er Spenden sammelt und Krisengespräche über das Dilemma illegal aus Mittelamerika eingewanderter Kinder führt. Die Innenpolitik hat Vorrang vor außenpolitischen Turbulenzen, signalisiert er und schickt seinen neuen Sprecher vor. Es sei nicht sinnvoll, das Thema durch die Medien zu diskutieren, sagte Josh Earnest, gestern Abend im Weißen Haus. "Alle Differenzen, die wir haben, sind am effektivsten über bestehende interne Kanäle zu lösen, nicht über die Medien." Zu den Vorwürfen äußerte er sich konkret aber nicht.

Wirtschaftsvertreter auf beiden Seiten des Atlantiks machen sich inzwischen allergrößte Sorgen, die diplomatische Krise könnte am Ende auch sie treffen. Viel zu eng sind deutsche und US-amerikanische Unternehmen miteinander verwoben, als dass die politische Entwicklung losgelöst vom engmaschigen Wirtschaftsnetz betrachtet werden könnte. Ohnehin stehen die transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen derzeit unter besonderem Druck: Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) befindet sich in der heißen Phase der Verhandlungen, an entscheidenden Stellen hakt es. Da sind Verstimmungen alles andere als vorteilhaft, ein Aussetzen der Verhandlungen wäre schon die nächste Eskalationsstufe.

Schon nutzen einige Politiker die politische Vorlage, um weiter Stimmung gegen die Verhandlungen zu machen. "Spionageversuche und Freihandelsabkommen passen überhaupt nicht zusammen", sagt etwa Ralf Stegner, Vizechef der SPD und Vertreter des linken Parteiflügels. Stegner befürwortet eine Pause, wenn nicht das Ende, der TTIP-Gespräche. Die Bundesregierung hat zwar unlängst erst wieder beteuert, Deutschland werde TTIP trotz allem weiter vorantreiben. Aber es klang wie ein sehr bemühtes Bekenntnis.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort