Schüler verletzt: Nach Messerangriff in Wuppertal – Anklage gegen 17-Jährigen
EILMELDUNG
Schüler verletzt: Nach Messerangriff in Wuppertal – Anklage gegen 17-Jährigen

Analyse Spionage unter Freunden

Paris · Frankreichs Präsidenten wurden jahrelang vom US-Geheimdienst abgehört. Die Wikileaks-Enthüllungen bringen vor allem François Hollande in die Bredouille. Für ihn sind die veröffentlichten Protokolle ungemein peinlich.

Dass der US-Geheimdienst NSA die Beziehungen zwischen Staaten vergiften kann, weiß die Bundesregierung am besten. Denn das Abhören des Handys der Kanzlerin führte zu tiefem Misstrauen gegenüber dem transatlantischen Partner. Angela Merkels Satz "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht" wurde gestern auch in Frankreich oft zitiert. Denn die NSA spionierte nicht nur hinter der deutschen Kanzlerin, sondern auch hinter französischen Präsidenten her - und zwar jahrelang. Jacques Chirac, Nicolas Sarkozy und François Hollande waren zwischen 2006 und 2012 ebenso im Visier des US-Geheimdienstes wie ihre Berater und Minister. Peinlich sind die Protokolle, die die Enthüllungsplattform Wikileaks jetzt im Internet veröffentlicht hat, für alle. Am meisten muss sich allerdings Hollande winden, denn das Gift der NSA droht sich nun auch in seine Beziehung zu Angela Merkel zu fressen.

Die Kommentare des Präsidenten über sein erstes offizielles Treffen mit der Kanzlerin sind alles andere als schmeichelhaft. "Hollande hat sich beschwert, dass nichts Substanzielles dabei herauskam. Das war reine Show", hieß es in einer streng geheimen Notiz zum 15. Mai 2012, als der Präsident direkt nach seinem Amtsantritt nach Berlin geflogen war. Hinter Merkels Rücken organisierte Hollande deshalb ein Geheimtreffen im Elysée-Palast mit der SPD-Spitze, die damals noch in der Opposition war. Es sollte bereits da um einen möglichen Ausstieg Griechenlands aus dem Euro gehen. Merkel vertraute Hollande in der Griechenland-Krise überhaupt nicht. "Hollande findet die Kanzlerin auf den Fiskalpakt und vor allem auf Griechenland fixiert, das sie seiner Ansicht nach fallengelassen hat", stand in der angeblich letzten Abhör-Notiz vom 22. Mai 2012. "Hollande ist sehr besorgt um Griechenland und das griechische Volk, das mit der Wahl einer extremistischen Partei reagieren könnte."

Während Hollande nur in den ersten Wochen im Amt abgehört worden sein soll, verfolgte die NSA die gesamte Präsidentschaft seines Vorgängers Nicolas Sarkozy am Telefon mit. Die Protokolle zeigen die Selbstüberschätzung des hyperaktiven Staatschefs, der sich 2008 als einziger in der Lage sah, die Finanzkrise zu bewältigen. "Seiner Meinung nach ist es das erste Mal, dass die USA nicht führende Kraft der weltweiten Krise waren und dass Frankreich die Dinge in die Hand nahm", kommentierte die NSA im Oktober 2008 ironisch.

Jahre später wollte Sarkozy dann eine Art No-Spy-Abkommen durchsetzen, da ihm die Spionageaktivitäten der USA bewusst waren. Schamlos hörte die NSA ein Gespräch seines Beraters Jean-David Levitte mit dem französischen Botschafter in den USA, Pierre Vimont, auch zu diesem Thema ab. "Der größte Reibungspunkt ist die Tatsache, dass die USA Frankreich weiter ausspionieren wollen", fasste der US-Geheimdienst am 24. März 2010 die Unterhaltung zusammen.

Wirklich überrascht war Levitte deshalb gestern nicht, dass die NSA auch in seinem Büro lauschte. "Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich abgehört wurde. Das war mit meinem Amt verbunden. Wenn man das einmal verstanden hat, dann ändert man seine Handlungsweise", sagte der einstige Präsidentenberater der französischen Enthüllungsplattform Mediapart.

Deutlich empörter fiel die offizielle Reaktion aus dem Elysée-Palast aus. Das Ausspionieren unter Verbündeten sei inakzeptabel, teilte das Präsidialamt nach einem eigens einberufenen Treffen des Verteidigungsrates mit, der sonst bei Kriegseinsätzen zusammenkommt. Und Regierungschef Manuel Valls forderte einen eigenen Verhaltenskodex für verbündete Staaten. Kritiker halten die harsche Reaktion allerdings für geheuchelt: "Wir sind hier mitten auf der Theaterbühne", sagte der Experte für Cyber-Sicherheit, Nicolas Arpagian. "Geheimdienstaktivitäten gehören zum Arsenal großer Staaten, die wissen müssen, was bei ihren Verbündeten passiert."

Nur rund 400 Meter vom Elysée-Palast entfernt sollen die USA ihren Späh-angriff auf die französischen Präsidenten gesteuert haben: In der Avenue Gabriel an der Place de la Concorde liegt streng bewacht die US-Botschaft. Unter einer Plane thront ein großer Aufbau auf dem Dach der Botschaft. Die Plane ist mit dekorativen Sprossenfenstern bemalt. Das ganze illusionistische Gebilde soll dabei den Eindruck einer Fassade erwecken. Dahinter verstecken die USA nach Ansicht des Journalisten Jean-Marc Manach, der für die Tageszeitung "Libération" die Wikileaks-Enthüllungen veröffentlichte, seit 2005 ihre Abhörantennen. Der französische Außenminister Laurent Fabius bestellte deshalb gestern die Pariser US-Botschafterin Jane Hartley ein, doch die Praxis soll auch in anderen amerikanischen Vertretungen in Europa üblich sein.

Für die französische Regierung könnte die Lektion, die ihnen Wikileaks gerade erteilt, allerdings ganz heilsam sein. Denn sie ist nicht nur Opfer von Spionage, sondern will ihrerseits das Abhören ihrer Landsleute nach den Anschlägen im Januar massiv ausweiten. Das Mithören von Handy-Telefonaten ist im neuen Geheimdienstgesetz, das gestern in der Nationalversammlung verabschiedet werden sollte, beispielsweise ebenso erlaubt wie das Verwanzen von Wohnungen.

Mit sogenannten Black Boxes sollen bei Internetanbietern die Kommunikationsdaten verdächtiger Personen kontrolliert werden - eine Massenüberwachung, die jeden treffen kann, finden Kritiker. "Der Täter ist zum Opfer geworden. Hier sieht man eine Regierung, die ein Abhörgesetz verabschieden lässt und sich selbst darüber beschwert, abgehört zu werden", kommentierte der konservative Senator Yves Pozzo di Borgo.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort