Saylorsburg Staatsfeind Nummer eins

Saylorsburg · Fethullah Gülen wurde als Prediger verehrt, nun als Strippenzieher verdammt. Der 75-Jährige bestreitet jedwede Schuld am Putsch.

Für die einen ist er der Vertreter eines modernen und gemäßigten Islam, der den hohen Wert der Bildung betont und Schulen baut, für die anderen ein finsterer Strippenzieher, der Intrigen gegen die gewählte Regierung der Türkei und deren Präsidenten spinnt: Der 75-jährige Fethullah Gülen steht nach dem Putschversuch in der Türkei im Zentrum schwerer Vorwürfe. Präsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt ihn, den Umsturzversuch organisiert zu haben, und fordert von den USA die Auslieferung Gülens, der seit 1999 in Amerika lebt. Gülen weist die Anschuldigungen zurück.

In einem Gespräch mit mehreren internationalen Medien am Samstag sagte Gülen in seinem Wohnsitz in Saylorsburg im Bundesstaat Pennsylvania, möglicherweise habe Erdogan den Putsch selbst inszeniert, als Vorwand, um den Druck auf die Gülen-Bewegung in der Türkei weiter erhöhen zu können.

Es ist nicht das erste Mal, dass Gülen mit den Mächtigen in der Türkei über Kreuz liegt. Der aus dem ostanatolischen Erzurum stammende Prediger wurde schon Mitte der 60er Jahre zum ersten Mal festgenommen, auch nach dem Putsch von 1971 wurde er interniert. Als die Militärs neun Jahre später erneut die Macht an sich rissen, stellte sich Gülen auf die Seite der Generäle. In den 90er Jahren war er auf dem Höhepunkt seines Einflusses: Die Gülen-Bewegung, die je nach Schätzung über bis zu acht Millionen Anhänger in zum Teil einflussreichen Positionen verfügt, galt als Republik-kompatible Alternative zum politischen Islam.

Gülens Lehren werden oft als Ausdruck eines sanften Islam charakterisiert, der Muslime auffordert, sich in der modernen Welt zu etablieren und eine möglichst gute Ausbildung anzustreben. Allein in den USA betreibt die Gülen-Bewegung, zu der auch Wirtschaftsunternehmen und Medien gehören, rund 100 Schulen.

Kritiker weisen jedoch auf eine dunklere Seite des Gülen-Systems hin: Der anatolische Prediger ist ein überzeugter türkischer Nationalist, der zum Beispiel in der Kurdenfrage eine harte Linie befürwortet, den modernen westlichen Lebensstil ablehnt und eine "Verklärung des Osmanischen Reiches als türkisch-muslimische Großmacht" betreibt, wie es der Türkei-Experte Günter Seufert von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik einmal ausgedrückt hat.

Ende der 90er Jahre wurde Gülen den Militärs in Ankara suspekt, und er floh in die USA. Obwohl er in einem späteren Prozess wegen eines mutmaßlichen islamistischen Umsturzversuches freigesprochen wurde, ist er bis heute nicht in die Türkei zurückgekehrt. Lange Jahre unterstützten die Gülen-Anhänger, die in der Türkei in Justiz und Bürokratie aufstiegen und starke Seilschaften bildeten, Erdogan und dessen Regierungspartei AKP.

Der Bruch kam vor drei Jahren, als Gülen dem heutigen Präsidenten zu mächtig wurde. Erdogan warf Gülen die Bildung "paralleler Strukturen" im Staatsapparat vor und begann mit der Entfernung von Gülenisten aus dem Staatsdienst. Gülen-Anhänger sprechen von einer Hexenjagd, besonders seit die türkischen Behörden damit begonnen haben, Unternehmen und Medien der Bewegung unter staatliche Zwangsverwaltung zu stellen.

Gülen selbst ging in seiner Pressebegegnung nach dem gescheiterten Putsch noch einen Schritt weiter und verglich die Erdogan-Anhänger in der Türkei mit "Hitlers SS". "Sie tolerieren keine Gruppe, die nicht von ihnen kontrolliert wird." Gleichzeitig lobte Gülen seine eigenen Anhänger in der Türkei, die trotz des staatlichen Drucks friedlich geblieben seien. So mancher im Erdogan-Lager vermutet, es könne kein Zufall sein, dass Gülen schon so lange unbehelligt in den USA lebt. Sie sehen den Prediger als Werkzeug der CIA - und sehen sich durch die Weigerung Washingtons bestätigt, Gülen an die Türkei auszuliefern. Bisher hat Ankara jedoch noch keinen offiziellen Auslieferungsantrag gestellt, wohl aus der Sorge heraus, dass er abgelehnt werden könne. Ein erster Versuch war vor einigen Jahren am Nein eines Richters in den USA gescheitert.

Nun erhöht Erdogan erneut den Druck auf Washington, um Gülen in die Türkei bringen und vor Gericht stellen zu können. US-Außenminister John Kerry zeigte beim Außenministertreffen in Brüssel der Türkei aber bereits ihre Grenzen auf: Über ein Gesuch werde rechtsstaatlich entschieden. "Es reichen nicht Beschuldigungen, wir brauchen echte Beweise", sagte Kerry.

(RP)
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