Berlin Steinmeier dreht auf

Berlin · In den Fernsehnachrichten kommt Außenminister Frank-Walter Steinmeier hinter der Kanzlerin Angela Merkel. In der Beliebtheit liegt er vor ihr. Und er nutzt jede Gelegenheit, Profil zu zeigen. Für die SPD. Aber auch für Schloss Bellevue.

Berlin: Steinmeier dreht auf
Foto: Maja Hitij

In Zeiten, in denen die Kanzlerin sich für Europa zerreißt, nach Italien, Estland, Tschechien und Polen jettet, sich im Regierungsgästehaus mit elf weiteren Regierungschefs trifft, nun beim G 20-Treffen in China Weltpolitik macht, in solchen Zeiten hat ein Außenminister gewöhnlich nicht viel zu vermelden. Doch Frank-Walter Steinmeier kommt trotz der merkelgeprägten Außenpolitik überall vor, wird nicht weniger emsig und betriebsam wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass einer, der sich auf das Verstecken hinter diplomatischen Höflichkeiten verstand, immer deutlicher seine Meinung sagt und eine neue Lust am Konflikt versprüht.

Als graue Eminenz hatte Steinmeier viele Jahre Gerhard Schröder den Rücken freigehalten. Erst in der niedersächsischen Staatskanzlei, dann im Berliner Kanzleramt. Für viele entpuppte sich die Eminenz auch als Effizienz. Gerade der scheidende Kanzler wusste, wie wichtig Steinmeier sowohl als Stütze wie als Gegenpol zu Merkel sein könnte, als er ihn als Außenminister der großen Koalition 2005 durchdrückte. 2009 trat Steinmeier gegen Merkel an, verlor, startete aber gleich am nächsten Tag als Oppositionschef durch. Allerdings merkte nicht nur die politische Welt auf, als er sich eine Auszeit von der Politik nahm, um seiner schwer erkrankten Ehefrau Elke Büdenbender eine Niere spenden zu können. Diese Prioritätensetzung brachte ihm Sympathie und zeigte viel von seiner Persönlichkeit.

Es ist eine Persönlichkeit, die automatisch in den Blick gerät, wenn es um die bevorstehende Entscheidung vom 12. Februar 2017 geht. Wäre die SPD stärkste Kraft, er wäre wohl der nächste Bundespräsident. Und wäre nicht Wahljahr, könnte er sich sogar auf die Unterstützung der CDU-Chefin und Bundeskanzlerin verlassen. Gerade mit Blick auf die vorzeitig gescheiterten Präsidentschaften in der Vergangenheit und auf die unklaren Mehrheitsverhältnisse in einem möglichen Sieben-Parteien-Parlament der Zukunft. Das braucht erfahrene Profis mit eigenem Kopf - vom Schlage Steinmeiers. Doch die Verhältnisse sind so, dass Steinmeier sich derzeit nicht die größten Hoffnungen machen kann.

So bleiben für ihn zwei Optionen. Entweder: In dem unübersichtlichen Vorfeld der Bundespräsidentenwahl die Chancen durch eigenes Zutun zu erhöhen und auf sich als einen überparteilich geschätzten Politiker aufmerksam zu machen. Oder: Die Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass es nach der Bundestagswahl für eine dritte Wahlperiode an der Spitze im Außenamt reicht. Für beide Varianten gibt es Unterstützung über die eigene Partei hinaus. Und für beide zählt: Konturen schärfen, nicht verstecken.

Deshalb erscheint es auch nicht als Zufall, dass Steinmeier seit Wochen weder innerhalb der Koalition noch mit den Potentaten der Welt den Konflikt scheut. Machen sich die Menschen Sorgen, ob die Nato-Truppenverstärkung in Osteuropa vielleicht das falsche Signal ist, warnt Steinmeier vor einem "Säbelrasseln", auch wenn er dafür vom Koalitionspartner attackiert wird. Und wenn die Kanzlerin daran festhält, so neutral wie möglich den US-Wahlkampf zu beobachten, nimmt Steinmeier kein Blatt vor den Mund und sorgt sich laut und deutlich: Ihm werde "bange, was aus dieser Welt wird", wenn Donald Trump die US-Wahlen gewänne.

Wenn dann der türkische Amtskollege den Vorschlag macht, die Bundesregierung brauche sich nur von der Armenien-Resolution zu distanzieren, und schon dürften deutsche Vertreter wieder ihre Soldaten im türkischen Stützpunkt Incirlik besuchen, sucht Steinmeier gar nicht erst nach diplomatischen, Gesichtsverluste vermeidenden Formulierungen. Er weist diese Verknüpfung sofort klar und öffentlich zurück und setzt sogar noch die Drohung drauf, dass die Bundeswehr die Türkei verlassen könnte.

Es gibt also genügend Gelegenheiten zur Profilierung im Schatten einer weltpolitisch wichtigen Kanzlerin. Steinmeier nutzt sie. Nach sieben Amtsjahren kennt er die vielen Möglichkeiten, Führung zu inszenieren, die auch das Außenamt bietet. Der Aufschlag zur Wiederbelebung des Weimarer Dreiecks lieferte dynamische Steinmeier-Bilder fürs Wochenende. Die Botschafterkonferenz zeigte ihn ab Montag, wie er die Richtlinien für Deutschlands Gesandte in der Welt überarbeitet. Und gestern stand er in Potsdam im Mittelpunkt, als er als Chef der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa vor großartiger Wasser- und Schlosskulisse mit 40 Amtskollegen die Sicherheitslage erörterte und gleich eine neue Rüstungskontrollinitiative auf den Weg brachte.

Solch ein Treffen ohne Beschlusscharakter ist zwar nicht üblich. Aber als Gastgeber kann man es ja zur Stimmungspflege machen. Besonders wenn eine Botschaft klar ist: Der Mann denkt nicht ans Abklingbecken, der will auf die hohe See.

(may-)
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