Anderthalb Jahre Debatte für ein Gesetz Sterbehilfe - Gewissensfrage im Bundestag

Berlin · Mit viel "Zeit und Raum" wollen die Abgeordneten eine Neuregelung zur Sterbehilfe schaffen. Union und SPD wollen das Gesetz erst nach der Sommerpause 2015 verabschieden. Bis dahin soll es eine breite gesellschaftliche Debatte geben.

Während die große Koalition Rentenpaket, Mindestlohn und Energiewende im Eiltempo umsetzt, wollen sich Union und SPD mit einer Neuregelung zur Sterbehilfe viel Zeit lassen. Die Koalitionäre einigten sich darauf, dass das Gesetz erst nach der Sommerpause 2015 verabschiedet werden soll. Bis dahin, in den kommenden anderthalb Jahren, wollen sich die Abgeordneten "Zeit und Raum" geben, die ethischen, juristischen und gesundheitspolitischen Fragen zu dem Thema zu diskutieren.

Anlass für die Debatte um die Sterbehilfe ist eine Gesetzeslücke: Nach der geltenden Rechtslage in Deutschland ist aktive Sterbehilfe, also Töten auf Verlangen, verboten. Nicht strafbar ist ein assistierter Suizid. Wenn also ein Arzt oder ein Verwandter einen Sterbewilligen dabei unterstützt, dass er sich selbst töten kann, dann wird dies nicht von den Behörden verfolgt. Diese Regelung führte dazu, dass sich Organisationen darauf spezialisierten, den assistierten Suizid anzubieten,manche sogar gegen Geld. Schon die schwarz-gelbe Vorgängerregierung wollte diese Gesetzeslücke schließen. Allerdings gab es keine Einigung. Die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wollte nur die gewerbsmäßige Organisation der Suizid-Beihilfe verbieten. Ihre Kritiker in der Union hielten ihr entgegen, dies sei etwa so effektiv, wie das Falschparken auf dem Mars zu untersagen. Die Union wollte mehr: Sie wollte generell jede Form der organisierten Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellen. Um diese beiden Pole geht es im Kern immer noch.

Das Gesetz soll nun aber nicht mehr in einem Ministerium geschrieben werden, sondern vielmehr aus der Mitte des Bundestags kommen. Zu Beginn der Legislaturperiode hatte Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Anstoß gegeben, dass bei dem Thema ein neuer Anlauf genommen werden müsse. Fachlich zuständig ist Justizminister Heiko Maas (SPD), der aber nicht dem Parlament angehört.

Anders als bei anderen Gesetzen wollen die Abgeordneten bei diesen Fragen zu Leben und Tod das reflexartige parteipolitische Gegeneinander vermeiden. Aus diesem Grund wird der sogenannte Fraktionszwang aufgehoben. Das heißt, die Abgeordneten müssen nicht nach einer vorher festgelegten Parteilinie abstimmen, sondern folgen allein ihren eigenen ethischen Überzeugungen.

"Je länger man sich mit dem Thema befasst, desto komplexer wird es", sagt die stellvertretende Chefin der SPD-Fraktion Carola Reimann. Am Vorabend hatten die SPD-Abgeordneten mit zwei Juristen, zwei Palliativmedizinern und zwei Vertretern der katholischen Kirche drei Stunden lang über die Sterbehilfe debattiert.

Aus Reimanns Sicht liegt der Schlüssel beim Thema Sterbehilfe im "Verhältnis von Arzt und Patient". Die Ärzteschaft in Deutschland hat sich in diesem Punkt klar positioniert. Sie verweist darauf, dass sie da ist, um Leben zu retten, und nicht, um Leben zu beenden. In der vergangenen Wahlperiode begrüßte sie die Vorstöße der Union für ein generelles Verbot organisierter Hilfe zur Selbsttötung.

Alle Beteiligten sind sich einig, dass sie Geschäftemacherei mit Sterbehilfe in jedem Fall unterbinden wollen. "Ein institutioneller Zugang zu Sterbehilfe ist widerlich", sagt Reimann. Diskussionen gibt es aber über die Fragen, wo organisierte Sterbehilfe beginnt und in welchen Grenzen Hilfe zur Selbsttötung möglich bleiben soll.

Union und SPD haben sich auch schon darauf verständigt, dass sie die Palliativmedizin in Deutschland verbessern wollen. Die Palliativmedizin kümmert sich um Sterbenskranke und sorgt insbesondere dafür, dass ihre Schmerzen gelindert werden. Auch in diesem Bereich gibt es Grenzen zur Sterbehilfe: Je nachdem, wie stark beispielsweise schmerzlinderndes Morphium dosiert wird, kann dies das Leben abkürzen.

Als nicht befriedigend gilt aus Sicht von Union und SPD die ambulante Palliativmedizin, die Sterben zu Hause ermöglicht. Wie aus einem gemeinsamen Papier beider Fraktionen hervorgeht, will die große Koalition für einen Ausbau der Angebote sorgen.

Bei fraktionsoffenen Abstimmungen werden üblicherweise Gruppenanträge geschrieben, zu denen sich die Abgeordneten bunt gemischt aus Regierung und Opposition zusammenfinden. Solche Verfahren gab es auch schon bei anderen ethischen Themen, zu denen Gesetze gemacht werden mussten. Dazu zählen beispielsweise die Regelungen zur Präimplantationsdiagnostik und das Gesetz zur Spätabtreibung.

(qua)
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