Mississippi Streit um ungesühnte Morde des Ku-Klux-Klan

Ferriday · Ein US-Lokalreporter versucht, die Hintergründe von rassistischen Verbrechen aus den 1960ern aufzudecken. Das stößt auf Widerstand.

 In den USA treiben mehr als 1000 "Hategroups" ihr Unwesen.

In den USA treiben mehr als 1000 "Hategroups" ihr Unwesen.

Foto: dpa, Jim Lo Scalzo

Eine zerbröselnde Betonplatte, in deren Ritzen Gras wuchert. Gegenüber ein leerer China-Imbiss, Lee's Pick & Pay, die Fenster weiß übermalt. Von einer Tankstelle weht Benzingestank herüber. "Hier muss Frank Morris gestanden haben", sagt Stanley Nelson und läuft an den Rand der Betonplatte, ein paar Schritte auf die Ausfallstraße zu, Highway 425, die Magistrale von Ferriday. "Hier stand er nachts in der Tür seines Ladens. Und vor ihm diese zwei Typen, einer mit einer Schrotflinte, der andere mit einem Benzinkanister." Morris war aus dem Schlaf geschreckt, als er Glas splittern hörte. Einer der Männer hielt ihm das Gewehr vor die Brust, während der andere die Lache vergossenen Benzins anzündete. Als die Flammen loderten, versperrten sie ihrem Opfer den Weg ins Freie. Morris entkam durch die Hintertür, mit Verbrennungen dritten Grades. Vier Tage danach war er tot.

Detail für Detail hat Nelson zusammengetragen, was in der Nacht des 10. Dezember 1964 geschah. Als er über den Schuster Morris zu schreiben begann, hatte Ferriday die Sache längst vergessen, verdrängt wie eine peinliche Erinnerung. Im Februar vor sieben Jahren war das, da entschied das FBI, ungelöste Mordfälle aus den 1960ern noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Verbrechen an Schwarzen, verübt vomKu-Klux-Klan. 122 im amerikanischen Süden, 15 allein im Dreieck zwischen Ferriday, Clayton und Natchez, einer alten Handelsstadt am Mississippi. Anfangs wurden das unter den Teppich gekehrt, weil sie tief saß, die Angst vor den Männern mit ihren weißen Kapuzen und den brennenden Kreuzen. Später wollte das Dorf einfach nur seine Ruhe haben. Ferriday mit seinen knapp 3000 Einwohnern ist eines dieser tristen Nester, die sich fast verstecken hinter den breiten, üppig grünen Uferdämmen des Mississippi und seiner Nebenarme. Ganze Straßenzüge von schmalen Holzhäusern, altmodischen Eisenbahnwaggons ähnlich, bei denen Vorder- und Hintertür auf einer Linie liegen. Einziger Lichtblick ist ein kleines Museum, das die stolze Musiktradition des Ortes feiert, Blues und Rock‘n'Roll, Trompeter, Sänger und Pianisten, allen voran Jerry Lee Lewis, der mit dem berühmten Johnny Cash auf Tournee ging.

Jeder kennt jeden in Ferriday. Und der "Concordia Sentinel", für den Nelson schreibt, ist eine Zeitung, die praktisch jeder in Ferriday liest. Die alte Welt eben. Bisweilen fühlte sich der Journalist, als hätte er in ein Wespennest gestochen. "Ich möchte bloß wissen, warum Sie das tun", tadelte eine Leserin. "Um herauszufinden, warum damals so viele Menschen getötet wurden." "Hören Sie, das steht Ihnen nicht zu, Sie sind doch nur Reporter." Er trage keinen Sheriffstern, habe die autoritätsgläubige Frau wohl gemeint, sagt Nelson.

So oft er gegen eine Mauer des Schweigens prallte, es gab auch Leute, die reden wollten, manchmal freilich nur in der Abgeschiedenheit stiller Friedhöfe. Auch Kinder der Täter waren dabei. Etwa die Söhne Earcel Boyds, eines Anführers der Silver Dollar Group, die eine Terrorbande des Klans war, ein Geheimbund für sich. Dieser Earcel Boyd also hortete auf dem Dachboden selbstgebastelte Bomben. Das Haus lag in der Nähe einer Luftwaffenbasis, und wann immer ein Düsenjet die Schallmauer durchbrach, so dass die Scheiben zitterten, rannte Boyds Frau ins Freie. Sie fürchtete, die Vibrationen könnten die Bomben hochgehen lassen. Solche Geschichten hat Nelson ausgegraben, wie ein Hobbydetektiv hat er sein Puzzle zusammengesetzt, Indizien zu den "Cold Cases", ungelösten, gleichsam erkalteten Mordfällen.

Hilfe bekommt er von Juraprofessoren und -studenten der Syracuse University, einer Hochschule im Bundesstaat New York. In den Semesterferien wühlen sie sich durch Berge vergilbter Akten, zwischendurch führen sie Papierkriege mit dem FBI und dem Justizministerium in Washington. Von den 122 neu aufgerollten Fällen wurden 102 mittlerweile für erledigt erklärt, ohne gelöst worden zu sein. 196 zusätzliche hat das "Cold Case Project" der Uni Syracuse seither gemeldet. "Eines können wir zumindest sein: das quietschende Rad am Wagen", skizziert es Janis McDonald, die Professorin, die die Recherchen leitet. Auch wenn mangels Beweisen kaum jemand auf der Anklagebank lande, Lärm schlagen, den Behörden auf den Nerv gehen, das müsse man allemal.

Verdächtige sterben, Zeitzeugen werden alt, Erinnerungen verblassen. Namen und Aussagen in den alten Vernehmungsprotokollen sind häufig geschwärzt, ehe die Bundespolizei Einsicht erlaubt. "Jeder Dritte imKu-Klux-Klan war FBI-Informant", erklärt Donald Washington. "Der Schutz von Informanten ist heilig, daran wird das FBI nicht rütteln." Donald Washington, Afroamerikaner und politisch Republikaner, eine eher seltene Mischung, war der zuständige Staatsanwalt im ländlichen Louisiana, als die Detektive ein zweites Mal ermittelten. Aus dem Hintergrund führte er Nelson auf die eine oder andere Spur. Der Klan, schildert Washington, handelt noch immer nach den Gesetzen einer verschwiegenen Sekte.

Nicht nur auf den Klan treffe das zu, sondern auch auf Ferriday, findet Darlene Morris-Newvill. "Ein lausiges Nest", sagt sie verbittert. "Die Leute kümmern sich nicht, sie kümmern sich nur um sich selber." Darlene Morris-Newvill ist Frank Morris' Urenkelin, 40, dreifache Mutter, wortkarg, geradeheraus. Auch wenn ein Barack Obama im Weißen Haus sitze, in Ferriday spüre man nichts vom Wandel. "Den Weißen ist herzlich egal, was mit Papa Frank passierte. Ich schwöre es, es ist ihnen egal."

Und Nelson? Wie bewegt er sich in dem Minenfeld, durch das einer im tiefen Süden fast zwangsläufig muss, wenn er die dunklen Kapitel der Vergangenheit ausbuddelt? Natürlich handeln Nelsons Geschichten vom Rassismus, aber das Wort meidet er wie eine gefährliche Klippe. Sonst gingen bei den Weißen, gerade auch bei Jüngeren, schnell die Jalousien herunter, "sie glaubten, man wollte sie anklagen für etwas, was sie nicht getan haben". Diese Krampfstarre versuche er zu lösen, indem er über den Nachbarn Frank Morris schreibe, sagt Nelson. Auf einem körnigen Schwarzweißfoto, aufgenommen in den 1950er Jahren, posiert Morris vor seinem Laden, mit Schürze, Schirmmütze und Krawatte, die Arme verschränkt. Fuhr eine Lady mit heller Haut vor, ging er hinaus zu ihrem Wagen, damit sie nicht in die Werkstatt musste, wo schwarze Männer die Schuhe besohlten — so waren die Regeln der Rassentrennung.

Der Klan strickte daraus das Gerücht, Morris flirte mit weißen Frauen. Irgendwann kam es zum Streit mit Frank De Laughter, dem Vizesheriff. De Laughter wollte nicht für ein Paar Cowboystiefel bezahlen, das Morris für ihn bestellt hatte, es kam zum Streit. Ein Schwarzer, der einem Weißen widersprach, im Ferriday des Jahres 1964 verstieß es gegen die Ordnung. De Laughter wollte Morris eine Lektion erteilen, in dem Punkt ist Nelson sich sicher. Zwei Brandstifter namens Cooney Poissot und Leonard Spencer sollten Morris' Geschäft niederbrennen. Im Mai 2013 erlag Spencer einem Krebsleiden, Poissot war bereits 1992 gestorben, und kurz darauf erhielten Morris' nächste Verwandte ein Schreiben des FBI. "Die Männer, die wahrscheinlich die Verantwortung am Tod Ihres Großvaters tragen, leben nicht mehr", man stelle die Ermittlungen ein. Auf keinen Fall dürfe dies das letzte Wort sein, sagt Darlene Morris-Newvill. Ein Schlussstrich im Nebel, zwei Verdächtige, aber keine Gewissheit, damit heile die Wunde nicht.

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