Schily: Historische Leistung - CDU auf Distanz Süssmuth übergibt Zuwanderungsbericht

Berlin (rpo). Heute hat die Vorsitzende der Einwanderungskommission, Rita Süssmuth, in Berlin einen fast 300-seitigen Abschlussbericht an Bundesinnenminister Otto Schily übergeben. Schily würdigte den Bericht Einwanderung als "historisch". Die Vorschläge des von der CDU-Politikerin Rita Süssmuth geleiteten Gremiums seien eine "gute Grundlage für die bevorstehende Gesetzgebungsarbeit", sagte er am Mittwoch auf einer Pressekonferenz.

Er sei zuversichtlich, dass Deutschland bis zum Ende des Jahres das modernste Zuwanderungsrecht in Europa haben werde, betonte Schily. Der SPD-Politiker appellierte an alle Parteien, sich nicht gegen die "große Chance" einer Neuregelung der Einwanderung zu sperren.

Schily will im Herbst ein Zuwanderungsgesetz vorlegen, das im Bundestag wie im Bundesrat eine "breite Mehrheit" findet und zugleich von der Bevölkerung voll akzeptiert wird.

Die 21-köpfige Expertenkommission unter Leitung der CDU- Politikerin Rita Süssmuth empfiehlt ein umfassendes Gesamtkonzept für Zuwanderung und die Integration der bereits in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. "Deutschland braucht Zuwanderinnen und Zuwanderer", heißt es in dem Bericht. Sie seien eine Bereicherung für die Gesellschaft. Voraussetzung sei aber, dass die Arbeitslosigkeit abgebaut und gleichzeitig mehr für die Qualifikation der Menschen getan werde.

Süssmuth betonte, Zuwanderung löse zwar nicht die Probleme einer alternden Gesellschaft, gleichwohl würden sie damit abgemildert. Nach dem Bericht droht Deutschland ohne Zuwanderung nicht nur ein Überalterungsprozess sondern auch ein Schrumpfen der Bevölkerungszahl - von derzeit 82 Millionen auf weniger als 60 Millionen bis zum Jahr 2050. Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Erwerbspersonen in Deutschland von heute 41 auf 26 Millionen zurück gehen und damit einen erheblichen Fachkräftemangel in allen Wirtschafts-Bereichen auslösen, heißt es in den in neun monatiger Arbeit erstellten Empfehlungen.

"Die Gestaltung von Zuwanderung und Integration" zählt nach Süssmuths Worten zu den wichtigsten politischen Aufgaben der nächsten Jahrzehnte. Allerdings lasse sich Zuwanderung auch nicht gegen die Bevölkerung durchsetzen, betonten Süssmuth wie Schily.

In den Empfehlungen wird ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vorgeschlagen, mit dem sich Ausländer für Einreise und Arbeitserlaubnis bewerben können. Pluspunkte gibt es unter anderem für gute Qualifikation, Alter, Deutschkenntnisse. Zugleich sollen die Bemühungen von Bund und Ländern zu Integration und zur Verbesserung der Sprachkenntnisse erheblich ausgeweitet werden. Die Kommission rechnet mit Mehrkosten von mehr als 700 Millionen Mark - bei einem Aufwand des Bundes von 312 Millionen Mark heute.

Der stellvertretende Kommissionsvorsitzende, der frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel, sagte, die Diskussion um die Zuwanderung habe in Deutschland die "Lücke zwischen öffentlicher Wahrnehmung und der politischen Realität" geschlossen. Deutschland sei mit seiner alternden Gesellschaft bereits seit längerem ein Einwanderungsland und als alterndes Land brauche es eine kinderfreundlichere Familienpolitik.

In dem Süssmuth-Bericht, wie auch in den Empfehlungen der Müller- Kommission wird eine Änderung des Grundrechts auf Asyl abgelehnt. Der Bericht der Regierungskommission drängt auf eine Beschleunigung der Asylverfahren auf Basis einer gesetzlichen Regelung. Verlangt wird darüber hinaus auch ein Asylrecht für Opfer nicht staatlicher Verfolgung, so bei inneren Unruhen und dem Verfall "staatlicher Strukturen". Betont wird zugleich die Schutzbedürftigkeit von Frauen, die wegen ihres Geschlechts verfolgt werden.

Schily, der die Erweiterung der Asylgründe auch im Widerstreit mit großen Teilen seiner Partei bisher strikt ablehnte, betonte, dass sich bei der nicht staatlichen Verfolgung sicherlich eine Lösung finden lasse. Gleichwohl müsse der Gesetzentwurf zur Zusanderung so gestaltet werden, dass er eine breite Mehrheit finde. Eine einfache Parteienmehrheit im Bundestag reiche nicht aus.

CDU und CSU lehnen Süssmuth-Empfehlungen entschieden ab

CDU und CSU lehnen die Empfehlungen der Süssmuth- Kommission zur Zuwanderung entschieden ab. Aus Sicht der Union genügt der Bericht "nicht den Erfordernissen einer wirksamen Gesamtkonzeption zu Zuwanderungs-Steuerung und Integration", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU), des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) und des CDU/CSU-Fraktionsvizes Wolfgang Bosbach (CDU).

Die Empfehlungen seien kein Zuwanderungsbegrenzungs-, sondern ein Zuwanderungserweiterungs-Konzept, heißt es weiter. Im Zentrum jeder Gesamtregelung der Zuwanderung müsse aber deren Begrenzung stehen, "da Deutschland nicht unbegrenzt aufnahmefähig" sei. Das Konzept der Süssmuth-Kommission sei daher in seiner Gesamtheit "nicht zustimmungsfähig".

Bereits im Bereich der Arbeitsmigration werde eine erhebliche Ausweitung angestrebt. Dem Grundsatz "Ausbildung und Qualifizierung geht vor Zuwanderung" werde nicht ausreichend Rechnung getragen. Sogar eine Zuwanderung "aus rein demographischen Gründen wird positiv diskutiert", heißt es kritisch in der Unionsstellungnahme. Statt der Erhöhung des Kindernachzugsalters sei eine Absenkung erforderlich. Auch fehle eine klare Absage an die Ausweitung des Asylrechts. Unzureichend seien auch die Vorschläge zur Straffung der Asylverfahren.

Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, sagte in einer eigenen Erklärung, der Bericht mache deutlich, dass es dieser Kommission nicht bedurft habe. Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen müssten Anstrengungen zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials Vorrang bei der Bewältigung der demographischen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt haben. Zuwanderung müsse zunächst begrenzt werden. "Erst dann kann ein eventueller Bedarf durch flexibel zu gestaltende Quoten gesteuert werden."

Grüne: "Echte Zeitenwende in Migrationsdebatte"

Die Grünen haben die Vorlage des Süssmuth-Berichts zur Zuwanderung als "echte Zeitenwende in der Migrationsdebatte" bewertet. Die Vorschläge der Kommission seien mutig und weitsichtig, sagte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth am Mittwoch in Berlin. Sie kritisierte die Reaktion der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel. Merkel bleibe hinter dem Konzept des kleinen CDU-Parteitags vom 7. Juni zurück. Roth betonte, ihre Partei sei nach wie vor für einen parteiübergreifenden Konsens bei der Zuwanderungsregelung.

FDP fordert zum Konsens auf

Der Grünen-Innenexperte Cem Özdemir warf der CSU vor, eine gemeinsame Lösung verhindern zu wollen. Die Empfehlungen der Süssmuth-Kommission und die Vorschläge des Leiters der CDU-Kommission, des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller, lägen nicht weit auseinander. "Das Problem bei der Union ist der CSU-Flügel", sagte Özdemir der dpa.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt forderte die Union nachdrücklich zum Konsens auf. "Wir brauchen Einwanderung", erklärte er. Auch Stoiber wisse, dass Einwanderung stattfinde, und er müsse eine Lösung für dieses Problem vorschlagen.

Grüne und Jusos drängen darauf, den Schutz für Flüchtlinge auszuweiten. Auch die FDP und die Süssmuth-Kommission sehen eine Schutzlücke bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) will da über Verbesserungen mit sich reden lassen, ist aber gegen eine Ausweitung des Asylrechts.

(RPO Archiv)
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