Analyse Synode wird zum Krisentreffen

Düsseldorf · Die Evangelische Kirche in Deutschland tagt in Düsseldorf. Sie wird Scherben aufkehren, Hausaufgaben machen und Versäumtes nachholen müssen. Denn die Protestanten haben turbulente Monate hinter sich.

Es sind die großen Fragen unserer Zeit, die zu Schwerpunktthemen werden, wenn einmal im Jahr die Synode, also das "Parlament", der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tagt: Reformationsjubiläum, Mission, Bildungsgerechtigkeit hießen sie zuletzt. Das hat einen ganz profanen Grund – der Schwerpunkt wird ein Jahr im Voraus festgelegt. Wer da auf Tagesaktuelles setzt, findet sich zwölf Monate später mit großer Sicherheit im Abseits wieder. Umgekehrt gilt aber auch: Die Synode bietet Gelegenheit, das Jahr aufzuarbeiten. Da kann es sein, dass die Agenda plötzlich anders aussieht als geplant.

So auch dieses Jahr in Düsseldorf – hier weht ein Hauch von Krisentreffen. Ab Sonntag tagt die EKD-Synode; vorher bereits treffen sich die lutherischen und unierten Landeskirchenverbünde. Der Schwerpunkt heißt "Es ist genug für alle da: Welternährung und nachhaltige Landwirtschaft". Zweifellos wichtig – und doch wird es in mehrfacher Hinsicht darum gehen, Scherben aufzukehren, Hausaufgaben zu machen, Versäumtes nachzuholen. Denn die Kirche hat turbulente Monate hinter sich.

Die Debatte ums Familienbild

Endlich war es der evangelischen Kirche im Frühsommer wieder einmal gelungen, eine gesellschaftspolitische Debatte auszulösen – allerdings mit ganz anderen Ergebnissen, als ihr lieb sein konnte. Anlass war ein 160 Seiten starkes Papier des Rates, also der "Regierung". Der sperrige Titel: "Zwischen Autonomie und Angewiesenheit. Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken". Es bricht eine Lanze für neue Formen des Zusammenlebens, sofern dort Werte wie Verlässlichkeit und Treue gelebt werden. Genannt werden Patchworkfamilien und homosexuelle Lebenspartnerschaften.

Das Echo war gewaltig, und es war gewaltig schlecht. Die Autoren mussten sich (zu Unrecht) vorhalten lassen, sie gäben die Ehe als Leitbild auf; dem Rat wurde (teils zu Recht) vorgeworfen, er habe Landeskirchen und Synode überrumpelt und ein theologisch schwachbrüstiges Papier passieren lassen. Im Nu hatte die EKD einen Grundsatzstreit am Hals: darum, wie wörtlich man mit der Schrift umzugehen habe und ob man das biblische Zeugnis geringschätze. Schlechte Kommunikation tat ein Übriges – "die Vermarktung war ein GAU", sagt ein Ratsmitglied. Wochenlang bestimmten wütende Attacken die Debatte; Unterstützung, auch aus dem Rat, kam sehr zögerlich. Ratschef Nikolaus Schneider lehnte Änderungen intern wie extern erst schroff ab, um dann Ergänzungen doch für möglich zu erklären. Wohlweislich hat die EKD das Thema in Düsseldorf explizit auf die Tagesordnung gesetzt – mit der Aussprache zu Schneiders Jahresbericht.

Die Personalien

Die Synode muss einen oder eine neue Präses wählen, ihr neues Gesicht. Katrin Göring-Eckardt hat das Amt niedergelegt, denn sie ist jetzt Grünen-Fraktionschefin im Bundestag. Favorit ist ihr Vize Günther Beckstein (69), ehemaliger bayerischer Ministerpräsident. Gegenkandidaten gibt es (noch) nicht. Sollte Beckstein Präses werden, braucht er einen neuen Stellvertreter. Das sollte dann eine Frau sein; wenn sie zudem wie Göring-Eckardt aus Ostdeutschland käme, würde das der proporzbedachten Synode sicher gefallen.

Außerdem sind zwei Plätze im Rat neu zu besetzen: Die Theologin Christiane Tietz legt ihr Mandat nieder, weil sie in die Schweiz gewechselt ist; für sie ist die Tübinger Theologie-Professorin Elisabeth Gräb-Schmidt nominiert. Der frühere bayerische Landesbischof Johannes Friedrich scheidet aus Altersgründen aus; für ihn kandidiert sein Nachfolger Heinrich Bedford-Strohm. Er dürfte damit automatisch zu einem informellen Kandidaten für Schneiders Nachfolge im Ratsvorsitz 2015 werden. Eine Vorentscheidung will man in der Synode aber noch nicht sehen.

Auch die Wahl des 53-jährigen Bayern würde aber wenig am Erscheinungsbild der EKD als einer Versammlung älterer Herren ändern: Die geistlichen Ratsmitglieder stehen alle an der Pensionsgrenze. Und mit Göring-Eckardt geht nach Margot Käßmanns Rücktritt vom Ratsvorsitz 2010 auch die zweite Frau an der EKD-Spitze und wird durch einen deutlich älteren Mann ersetzt.

Das kirchliche Arbeitsrecht

Für das kirchliche Selbstverständnis wohl das wichtigste Thema, das in Düsseldorf anliegt. Denn der Sonderweg im Arbeitsrecht steht zur Debatte. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dazu 2012 zwei salomonische Urteile gefällt: Wenn die Kirche mit Gewerkschaften einen Tarifvertrag aushandelt und dabei eine Schlichtung vorsieht ("Zweiter Weg"), darf sie Streikverzicht verlangen; wenn sie auf Lohnfindung in Arbeitsrechtlichen Kommissionen setzt, die gleich stark mit Arbeitgebern und eigenen Arbeitnehmern besetzt sind ("Dritter Weg"), ist Streik ausgeschlossen, wenn die Gewerkschaften am Verfahren beteiligt sind und dessen Ergebnisse für die Arbeitgeber verbindlich sind.

Der Rat hat aus diesen Vorgaben eine neue Norm destilliert: Das "Arbeitsrechtsregelungsgrundsätzegesetz" soll den Streit entschärfen, indem es Zweiten und Dritten Weg als gleichberechtigt anerkennt und die Ergebnisse als für den Arbeitgeber verbindlich erklärt. Die Gewerkschaft Verdi freilich ist damit noch nicht zufrieden. Sie zieht gegen das BAG-Urteil vors Verfassungsgericht und will auch in Düsseldorf gegen die EKD-Pläne auf die Straße gehen.

Und das Gesetz ist noch lange nicht das Ende der Debatte ums kirchliche Arbeitsrecht. Denn erstens gibt es auch in der Synode einflussreiche Stimmen, die mehr wollen: einen "Tarifvertrag Soziales", der für die Kirchen ebenso wie etwa für die Awo gelten würde. Das freilich dürfte eher ein langfristiges Ziel sein. Und zweitens hat die EKD keine Zwangsmittel gegen die Landeskirchen und diakonischen Werke in der Hand, die die neuen Grundsätze nicht übernehmen. Das Arbeitsrechtsgesetz erfordert dort deshalb nicht nur juristische Änderungen, sondern teils auch einen grundlegenden Sinneswandel.

Und das ist ja dann doch wieder so etwas wie eine große Frage der Zeit.

(RP)
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