Taipeh Taiwans neues Selbstbewusstsein

Taipeh · Donald Trumps Telefonat stärkt auf der Insel die Befürworter größerer Unabhängigkeit von China. Das ist nicht ohne Risiko.

Der Schüler Chu Chen sitzt mit einigen Freunden im Obergeschoss eines Lokals in Taipeh. Der Taiwaner, der sich den englischen Namen James gegeben hat, trägt ein T-Shirt mit roten Schriftzeichen auf dem Rücken. Die Aufschrift bedeute "Du denkst an China, ich denke an Taiwan", erklärt Wang "Gina" Pin-zhen, die mit ihm in der Runde sitzt.

Die jungen Taiwaner gehörten zu einigen Hundert Schülern, die im Sommer 2015 aus Protest gegen prochinesische Schulbücher das Bildungsministerium in der taiwanischen Hauptstadt Taipeh stürmten. Sie wehrten sich dagegen, dass in den neuen Büchern die Geschichte ihrer Heimat als Fortsetzung der Geschichte der kommunistischen Volksrepublik dargestellt wird. Dabei sei Taiwan doch eine Mischung von Kulturen, sagt Gina, die mit ihrer roten Brille unter den Ponyfransen viel jünger aussieht. Sie sieht sich als Taiwanerin, nicht als Chinesin.

Eine Demokratie, die nicht wenige in Gefahr sehen, denn der Schatten des mächtigen kommunistischen Nachbarn China, der Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, ist lang. Dies zeigte zuletzt die Reaktion der Volksrepublik auf ein Glückwunschtelefonat der seit Mai amtierenden taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen. Sie gratulierte dem designierten amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu dessen Wahlerfolg, was dieser auf Twitter verlautbarte. Dass Trump diesen Anruf annahm, wertete China als Bruch der von Amerika jahrzehntelang vertretenen Ein-China-Politik. Diese besagt, dass es nur ein China gibt - vertreten von der kommunistischen Volksrepublik - und dass Taiwan ein Teil davon ist.

Während manche Trumps Verhalten als Zeichen seiner mangelnden diplomatischen Kenntnisse werten, sehen andere darin einen Versuch, Taiwan als Trumpfkarte zu benutzen, um China unter Druck zu setzen. "Ich verstehe die Ein-China-Politik vollkommen", sagte Trump dem amerikanischen Sender Fox, "aber ich weiß nicht, ob wir uns an diese Ein-China-Politik gebunden fühlen müssen, außer wir schließen mit China einen Deal ab, der mit anderen Dingen zu tun hat, etwa mit dem Handel."

Die sich seit 1949 selbst verwaltende Nation Taiwan, in der 23 Millionen Menschen auf einer Fläche leben, die in etwa halb so groß ist wie Bayern, ist außerhalb Asiens vielen nur dank "Made in Taiwan" bekannt. Taiwan ist Weltmarktführer bei Computerprodukten wie Laptops. Auch bei der Fahrradproduktion gehört Taiwan zur Weltspitze.

Doch abgesehen davon ist die Inselrepublik kaum sichtbar, etwa auf politischer Ebene. Nur 22 Staaten erkennen Taiwan als autonome Nation an. In Europa ist dies lediglich der Vatikan. Die Angst vor Auswirkungen auf die Beziehungen zur Volksrepublik China ist groß.

Die meisten Länder, die USA und Deutschland eingeschlossen, unterhalten inoffizielle Beziehungen zu Taiwan. So liefern die USA Waffen an Taiwan und würden - jedenfalls bisher - die Insel im Konfliktfall unter ihre militärischen Fittiche nehmen. Trumps Sieg bei der Präsidentschaftswahl und seine ambivalenten Aussagen sorgen nun für Unsicherheit.

Bis Ende 2015 sah es so aus, als würden sich Taiwan und China nach Jahrzehnten der Feindschaft annähern. Die langjährige Regierungspartei Kuomintang, die Taiwan bis Ende der 80er Jahre als Einparteienstaat geführt hatte, bevor sich Taiwan rapide demokratisierte, ging zuletzt auf Kuschelkurs mit China. Das ging vielen Taiwanern gegen den Strich, vor allem der jungen Generation. Als Tsais Amtsvorgänger Ma Ying-jeou versuchte, ein Dienstleistungsabkommen mit China abzuschließen, führte dies vor drei Jahren zu Massenprotesten mit Hunderttausenden Teilnehmern. Studenten stürmten gar das Parlament, hielten es wochenlang besetzt. Sie wurden als "Sonnenblumenbewegung" bekannt.

Präsidentin Tsai, Parteichefin der Demokratischen Progressiven Partei (DPP) in Taiwan, sucht wieder mehr Distanz zum großen Bruder. Ihre Regierung wolle "standhaft die Souveränität dieses Landes beschützen", sagte Tsai. Die Mehrzahl der Bevölkerung trägt diese Entwicklung mit.

Laut einer Umfrage der Taiwanese Public Opinion Foundation, die die Zeitung "Taipei Times" kurz nach dem Amtsantritt von Präsidentin Tsai Ende Mai veröffentlichte, hat die Zahl der Bewohner von Taiwan, die sich selbst als Taiwaner empfinden, mit rund 80 Prozent einen neuen Rekord erreicht. Lediglich 8,1 Prozent empfanden sich als Chinesen, 7,6 Prozent als beides.

Die Mehrzahl derer, die sich heute als Chinesen betrachten, zählt zu den Nationalisten, die nach Ende des chinesischen Bürgerkrieges vor den Kommunisten nach Taiwan flohen. Dort errichteten die Nationalisten unter Chiang Kai-shek eine Gegenregierung, um eines Tages über ganz China zu herrschen. Noch bis 1979 erkannten die USA Taiwan als das eigentliche China an. Dann änderten sie ihren Kurs. Womöglich steht unter Trump ein weiterer Richtungswechsel bevor.

Sich ganz von China abwenden und auf die eigene Unabhängigkeit pochen möchten viele Taiwaner aber auch nicht, auch nicht die DPP unter Präsidentin Tsai. "Eine Fraktion der DPP ist für die totale Unabhängigkeit", sagt der taiwanische Professor und Experte für die bilateralen Beziehungen, Lu Ya-lit. "Aber sie können die Bindungen nicht kappen, China ist zu stark."

(RP)
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