Daressalam Tansania plant den Sprung zum Industrieland

Daressalam · Präsident John Magufuli gilt als unbestechlicher Kämpfer gegen die Korruption. Seine Hauruck-Politik stößt aber auch auf Skepsis.

"Nein", sagt Mama Josephine, "Rabatt kann ich Ihnen nicht mehr geben. Sie wissen schon." Und etwas leiser, fast ein wenig verschwörerisch, fügt sie hinzu: "Magufuli!" Die Kundin ist trotzdem überrascht. Schon seit Jahren kauft sie ihre Kanga-Stoffe, diese farbenfrohen Wachs-Drucke, aus denen Frauen in Ostafrika Wickelröcke und Oberteile schneidern, immer nur in dem kleinen Laden von Mama Josephine mitten im zentralen Markt der tansanischen Stadt Dodoma ein. Immer hat sie einen guten Preis bekommen. "Seit ich die Mehrwertsteuer abführen muss, geht das nicht mehr", erläutert die Händlerin. Schließlich zahlt die Kundin den Festpreis.

Auch wer die Landessprache Suaheli nicht versteht, hört an diesem Morgen überall auf dem Markt die Worte "Mehrwertsteuer" und "Magufuli", den Namen des fünften Präsidenten der Republik Tansania, der gerade erst ein gutes Jahr im Amt ist. "Der Bulldozer" wurde er vor Jahren in der Presse genannt, als er Minister für ländliche Entwicklung war, zuständig für ländlichen Straßenbau, einer, der Projekte nicht nur ankündigte, sondern auch dafür sorgte, dass sie umgesetzt wurden. Und einer, der für viele Bauaufträge zuständig war, dem aber bis heute nie Bestechlichkeit vorgeworfen oder gar nachgewiesen wurde. Damals schwang Respekt mit, wenn der Spitzname "Bulldozer" fiel. Jetzt, als Präsident, ist Magufuli in aller Munde, aber auf dem Markt in Dodoma mischt sich Skepsis in den Respekt. Zieht Magufuli mit seinen Forderungen nach Steuergerechtigkeit den kleinen Markthändlern nicht das Geld aus der Tasche? Schon oft hat sich in Afrika auf den Straßenmärkten die Zukunft eines Politikers entschieden.

Magufuli ist so präsent wie keiner seiner Vorgänger seit den Tagen des legendären Gründungsvaters der Nation, Julius Nyerere. In jeder Amtsstube und in jeder Schule des Landes hängen sie nebeneinander, die Fotografien von Nyerere, des großen Lehrers der Nation, und seines Nach-Nachfolgers, des promovierten Chemikers John Magufuli. Ein Intellektueller mit Kurzhaarschnitt und randloser Brille, aber offensichtlich auch ein durchsetzungsstarker Macher. Einer, der, kaum hatte er im November 2015 sein Amt angetreten, den Kampf gegen Korruption, Vetternwirtschaft und Verschwendung von Staatsgeldern aufnahm. Der die alljährlichen Unabhängigkeitsfeiern absagte und das eingesparte Geld in Krankenhausbetten und in die Bekämpfung einer Cholera-Epidemie steckte. Einer, der dazu aufrief, am Unabhängigkeitstag freiwillig den allgegenwärtigen Müll von den Straßen einzusammeln und sich dabei fotografieren ließ, wie er selbst mit Besen und Arbeitshandschuhen die Straßen der Hauptstadt Daressalam von Unrat säuberte. Einer, dessen Überraschungsbesuche in staatlichen Behörden gefürchtet und berüchtigt sind. Denn meist werden hinterher Beamte, die er nicht am Arbeitsplatz angetroffen hat, entlassen. So geschehen mit der gesamten Leitung der Hafenbehörde von Daressalam oder mit dem Management der Eisenbahngesellschaft, die den Verkehrskorridor zwischen Tansania und dem Nachbarland Sambia bedient. Einer, der das staatliche Energieversorgungsunternehmen auffordert, effizienter zu arbeiten, aber dann auch die Einsparungen in Form von niedrigeren Tarifen an die Kunden weiterzugeben.

In den ostafrikanischen Nachbarländern, in Kenia, Uganda, Malawi und Sambia, ist Magufuli das Idol regierungskritischer Aktivisten. Da, wo Korruption bei höchsten Regierungsvertretern an der Tagesordnung ist, ist die Sehnsucht nach einem Saubermann groß. "What would Magufuli do?" (Was würde Magufuli machen?) überschreiben kritische Blogger in Kenia ihre Enthüllungen zum Korruptionssumpf der regierenden Klasse in ihrem eigenen Land. In Tansania selbst sehen Aktivisten die Ära Magufuli freilich kritischer: Hat er nicht Tränengas gegen regierungskritische Demonstranten einsetzen lassen? Und warum wurden im August 2016 zwei unabhängige Radiosender kurzerhand geschlossen? Warum wurde auch noch eine Wochenzeitung verboten? Und warum hat die Regierung bis 2020, bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen, alle öffentlichen Großveranstaltungen der Oppositionsparteien vorsorglich verbieten lassen?

Dodoma, fast 600 Kilometer westlich von Daressalam mitten in der trockenen Savanne gelegen, ist seit 1973 eine Hauptstadt im Wartestand. Damals entschied das Parlament auf Vorschlag des Gründungspräsidenten Nyerere, die Hauptstadt von Daressalam, dem wichtigsten Hafen Ostafrikas, nach Dodoma zu verlegen. Nyerere wollte damit Impulse für die Entwicklung der dünn besiedelten und benachteiligten Regionen im Landesinneren geben. Heute, fast 44 Jahre später, ist zwar das Parlament umgezogen, aber alle Ministerien und sämtliche Regierungsbehörden haben ihren Sitz weiter in Daressalam.

Ende Juli 2016 kündigte die Regierung Magufuli unerwartet an, den alten Plan von Nyerere im Hauruck-Verfahren zu vollenden. Bis zum Frühjahr 2017 sollen alle Ministerien Büros in Dodoma eröffnet haben, bis 2020 sollen alle zentralstaatlichen Behörden endgültig nach Dodoma umgezogen sein. So richtig vorstellen kann sich das im eher beschaulich-verschlafenen Dodoma, einer Stadt mit gerade einmal 300.000 Einwohnern, bisher kaum jemand. Aber die Immobilienpreise sind seit der Ankündigung des Regierungsumzugs bereits um 300 Prozent angestiegen. Wer im Land Geld hat, investiert in Grundstücke in der künftigen Hauptstadt.

"Ich habe nichts gegen den Regierungsumzug", sagt Vedastus Timothy vorsichtig. Er ist Wirtschaftswissenschaftler und Dozent am Institut für ländliche Entwicklung in Dodoma. "Aber wie soll das praktisch funktionieren? Die Entscheidung wurde verkündet, als der Haushalt 2017 gerade verabschiedet war. Für den Regierungsumzug sind im aktuellen Haushalt gar keine Finanzmittel vorgesehen!"

Im April 2016 ließ Magufuli seinen Finanzminister im Parlament zudem einen außerordentlich ambitionierten Fünfjahresentwicklungsplan verkünden: Demnach soll Tansania innerhalb von zehn Jahren vom Agrarland, in dem 70 Prozent der Einwohner von der Landwirtschaft leben, zu einem Land werden, in dem die Industrie Motor und Impulsgeber der Wirtschaft ist. Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte des Landes, aber auch Produktion von Konsumgütern für den heimischen Markt sollen gefördert werden. Der Anteil der Industrieproduktion am Bruttoinlandsprodukt soll innerhalb eines Jahrzehnts von heute fünf auf 40 Prozent gesteigert werden. Kann das gelingen in einem Land, in dem die Industrieproduktion seit Jahren stagniert?

Viele Fragen lässt der Fünfjahresentwicklungsplan offen: Wie wird sich die Landwirtschaft verändern, wenn die Industrie der wichtigste Wirtschaftssektor wird? An welchen Standorten sollen Industriebetriebe gegründet werden? Nur in den ganz großen Städten oder auch in kleinen, ländlichen Zentren? Und welche Rolle werden die vielen Kleinhandwerker am Straßenrand, die mit einfachsten Werkzeugen und zuweilen aus Abfallstoffen neue Produkte herstellen, zum Beispiel Sandalen aus alten Autoreifen, welche Rolle werden sie in der Strategie der Regierung haben?

Vielleicht hat Magufuli gut daran getan, den Finanzminister an seiner Stelle das Industrialisierungsprogramm verkünden zu lassen. Dann wird es ihm leichter fallen, wenn er in ein paar Jahren die ehrgeizigen Ziele nach unten korrigieren muss.

(RP)
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