Brüssel Tauziehen um Europas Führungsspitze

Brüssel · Das Sondertreffen in Brüssel beginnt mit Verspätung. Es gibt offenbar einen neuen Postenstreit.

Schon der Start war holprig. Gipfel-Organisator Herman Van Rompuy musste gestern Abend das Sondertreffen der Staats- und Regierungschefs zu Europas künftiger Führungscrew um zwei Stunden verschieben. "Wir brauchen mehr Zeit für Konsultationen", lautete die offizielle Begründung. Im Diplomatendeutsch bedeutet das Streit. Kein Wunder: Es gibt mehr Ansprüche als zu verteilende Posten. Vier Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Um welche Posten geht es?

Es geht um Nachfolger für die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Zudem könnte der Chef der Eurogruppe zu einer hauptamtlichen Funktion aufgewertet und neu besetzt werden. Derzeit macht der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem den Job nebenher.

Welche Kriterien spielen eine Rolle?

Parteifarbe, Geschlecht, Herkunftsland und die Qualifikation. Letztere ist aber meist weniger entscheidend als der Proporz. Da die Konservativen mit Jean-Claude Juncker den neuen Kommissionschef stellen, muss wenigstens einer der anderen Top-Jobs (Außenbeauftragter, Ratspräsident) an die Sozialdemokraten gehen, die mit den Konservativen eine informelle große Koalition im EU-Parlament bilden. Zudem soll mindestens eine Frau in die EU-Führungsriege, auch Ost- und Südeuropäer wollen vertreten sein. Letztere fordern die Flexibilisierung der Euro-Stabilitätsregeln und möchten daher den Eurogruppenchef stellen.

Warum muss eine Einigung her?

Die Entscheidung über Ratspräsident und Eurogruppe könnten bis Herbst geschoben werden. Druck gibt es bei der Außenbeauftragten. Denn sie ist nicht nur das Gesicht der EU in der Welt, sondern auch Vizepräsidentin der EU-Kommission. Der neue Chef der EU-Exekutive, Jean-Claude Juncker, muss über den Sommer sein Team bilden. Sonst steht die neue Kommission nicht pünktlich bis zur Amtsübernahme Ende Oktober. Denn alle Kommissare müssen sich einer Anhörung im Europaparlament stellen. Am Ende braucht Junckers Kollegium noch einmal grünes Licht von den EU-Volksvertretern. Das dauert.

Gibt es Favoriten?

Italiens selbstbewusster Neu-Regierungschef Matteo Renzi beansprucht nach seinem glänzenden Europawahl-Ergebnis einen Top-Job in Brüssel. Er möchte seine Außenministerin Federica Mogherini (41) zur EU-Außenbeauftragten machen. Dagegen gibt es Widerstand: Mogherini ist international unerfahren und erst seit Februar im Amt. Außerdem kritisieren die EU-Oststaaten die zweifache Mutter als zu russlandfreundlich, was durch die Ukraine-Krise Brisanz hat.

Die Osteuropäer puschen hingegen die Bulgarin Kristalina Georgieva. Sie ist bisher Kommissarin für humanitäre Hilfe. Als weitere Kandidaten gelten der liberale Belgier Karel De Gucht, derzeit Handelskommissar, oder Schwedens Außenminister Carl Bildt. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski ist hochkompetent, wäre aber wegen seiner harten Haltung gegenüber Russland wohl eine pure Provokation für Wladimir Putin.

(RP)
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