Analyse Teilzeit ist weiblich

Berlin/Düsseldorf · Kinderbetreuung und die Pflege der eigenen Eltern setzen berufstätige Frauen unter Druck. Für viele sind reduzierte Arbeitszeitmodelle die einzige Lösung. In der Politik ist das bekannt. Passiert ist aber bisher zu wenig.

Frauen sind wohl die vielseitigsten Leistungsträger unserer Gesellschaft. Sie sind so gut ausgebildet wie nie zuvor, sie arbeiten so viel wie nie zuvor und sie haben hohe Ansprüche an sich als Arbeitskraft, als Mutter, Partnerin und Freundin. Doch diese unterschiedlichen Anforderungen lassen sich mit einer klassischen Vollzeittätigkeit kaum vereinbaren. Und so ist es kein Wunder, dass Teilzeitarbeit in Deutschland weiblich ist.

Wer jedoch in Teilzeit arbeitet, muss auch viele Nachteile in Kauf nehmen. Frauen, die im Erwerbsleben über lange Zeit nur einen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitjob ausgeübt haben, sind als Rentnerinnen einem deutlich höhren Armutsrisiko ausgesetzt. Längst hat die Politik daher erkannt, dass sie Frauen am Arbeitsmarkt besser beteiligen muss - auch, um den bereits existierenden Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen. Und tatsächlich ist die Erwerbsquote von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen - auf aktuell mehr als 70 Prozent. In Vollzeit arbeitet davon aber der kleinere Anteil; wenn minderjährige Kinder im Haushalt sind, liegt die Vollzeitquote erwerbstätiger Mütter zudem bei unter einem Drittel.

Frauen mit Kindern sind es, die die höchsten Belastungen erfahren. Wie groß diese beim Versuch der Vereinbarkeit von Familie und Beruf werden können, hat nun auch eine Studie des Allensbach-Instituts unter 1000 Frauen für die Zeitschrift "Bild der Frau" ergeben. Demnach erledigen 66 Prozent der Frauen im mittleren Alter von 40 bis 59 Jahren die Familienarbeit im Haushalt zumeist allein. Nach wie vor folgt die Gesellschaft weitgehend der traditionellen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen: Während der Vater in Vollzeit arbeitet und den Großteil des Haushaltseinkommens beisteuert, arbeitet die Frau zeitlich reduziert und betreut nachmittags den Nachwuchs. Oder die eigenen Eltern.

Wenn es zu einem Pflegefall in der Familie kommt, kümmert sich laut der Studie ein Großteil der Frauen selbst um die Angehörigen. Auf 82 Prozent der Befragten trifft das zu, bei den Männern sind es nur 64 Prozent. Mehr als drei Viertel der Frauen, die einen Angehörigen pflegen, sind nebenbei auch noch berufstätig, ein Drittel davon sogar in Vollzeit.

Was zeigt: Die heutige Frauengeneration will ihre Fähigkeiten auch auf dem Arbeitsmarkt nutzen. Viele lassen sich unter keinen Umständen auf Kinder und Küche beschränken. Das brachte die zwei Gründerinnen Jana Tepe (28) und Anna Kaiser (31) aus Berlin auf eine Idee: Warum können sich gut ausgebildete Mitarbeiter nicht eine Vollzeitstelle teilen? Sicherlich, sie müssten sich absprechen - aber im Grunde würden nicht nur die beiden profitieren, sondern auch die Unternehmen. Denn die Qualifikationen der Mitarbeiter könnten sich prima ergänzen. Ausgestattet mit 100 000 Euro Startkapital aus dem Existenzgründerprogramm "Exist" des Bundeswirtschaftsministeriums gründeten die beiden Frauen "Tandemploy", eine Stellenplattform für Mitarbeiter im Doppelpack. Seit Frühjahr 2014 gibt es die Seite, mehr als 1400 Frauen und 600 Männer haben sich bislang registriert, rund 35 Firmen nutzen das Portal und zahlen eine Jahresmitgliedschaft. "Unsere Idee ist ein Schritt in die Zukunft, um zu gucken: Wie wollen wir leben und arbeiten? Vor allem: Wie soll die Arbeit ins Leben passen und nicht andersherum?", sagt Tepe. Mitarbeiter, die sich eine Stelle aufteilen, sollten sich entsprechend ihrer Stärken ergänzen und verstärken.

15 bis 20 Prozent aller deutschen Unternehmen bieten bereits geteilte Arbeitsplätze an, manche auch auf Führungsebene. Dennoch fremdeln viele Firmen mit dem Modell, weil sie befürchten, dass sie wichtige Absprachen doppelt tätigen müssen. Christiane Bieber hält das für eine Ausrede: "Wie bei jeder Teamarbeit bedarf es auch beim Jobsharing guter Planung, Organisation und Kommunikation." Wichtig sei vor allem Solidarität untereinander, das Versprechen, sich gegenseitig zu helfen, keine Arbeit an den anderen abzudrücken. Die 42-Jährige weiß, wovon sie spricht. Gemeinsam mit einer Kollegin leitet die zweifache Mutter seit September 2014 die Psychosomatische Ambulanz am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Idee kam von ihrem Vorgesetzten. Bieber arbeitet 65 Prozent, ihre Kollegin 60 Prozent. Zwar sei der organisatorische Aufwand sehr hoch. "Aber wir nehmen uns auch gegenseitig Arbeit ab." Trotzdem, sagt die Oberärztin, funktioniere das Modell nur, wenn man Teile des Haushalts und der Kinderbetreuung auslagern kann - zumal Biebers Mann als Jurist in Vollzeit arbeitet. "Meine Töchter sind erst in der Kita. Dann werden sie nachmittags im Wechsel von mir, den Großeltern oder unserer Kinderfrau abgeholt. Dieses System klappt nur, solange die Kinder nicht krank werden." Für Bieber ist es Luxus, beides zu haben: Zeit für Familie und einen interessanten Job.

Dass das aber längst nicht alle erwerbstätigen Frauen von sich behaupten können, ist auch im Bundesfamilienministerium angekommen. Ressortchefin Manuela Schwesig (SPD) hat bisher drei wesentliche familienpolitische Weichen der großen Koalition gestellt: Kita-Gesetz, Elterngeld Plus und das Familienpflegezeit-Gesetz sollen Entlastungen schaffen, zudem bekommen Alleinerziehende nach jahrelanger Durststrecke einen Steuerbonus. Ausreichend ist das aber längst noch nicht.

"Wir wissen, dass sich eine Menge der jungen Mütter und Väter die Aufgaben in Familie und Beruf partnerschaftlich teilen wollen und auch beide für das Einkommen verantwortlich sein möchten", sagte Schwesig unserer Zeitung. Moderne Familienpolitik müsse auf diese veränderte Lebenswirklichkeit reagieren. "Mir geht es darum, dass die Arbeitszeit für Familien besser verteilt wird", so Schwesig. Ihre Annahme: Für Familien ist nicht nur Geld wichtig, sondern vor allem gemeinsame Zeit. "Männer wünschen sich, ihre Arbeit zu reduzieren, fürchten aber negative Folgen für ihre Karriere. Frauen würden gerne mehr Stunden arbeiten, können aber aus ihren Teilzeitjobs nicht aufsteigen." Schwesig will daher eine in der Wirtschaft umstrittene Familienarbeitszeit schaffen, mit der beide Partner vorübergehend ihre Arbeitszeit reduzieren könnten. Für das ehrgeizige Projekt gab ihr Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel erneut Rückendeckung. Auch Unternehmen und Sozialpartner müssten sich offen für neue Vorschläge zeigen, forderte Gabriel, der bei der Vorstellung der Allensbach-Studie dabei war.

(jd)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort