London May ist die britische Merkel

London · Das Vorbild der designierten Premierministerin Großbritanniens sei nicht Margaret Thatcher, sondern "eine gewisse deutsche Kanzlerin", heißt es in britischen Medien. Parallelen gibt es viele, doch das hört Theresa May gar nicht gern.

Großbritannien: Das ist Theresa May
6 Bilder

Das ist Theresa May

6 Bilder
Foto: dpa, TH abl

Die Choreografie des Machtwechsels steht fest. Zuerst wird David Cameron heute Nachmittag in einer Audienz bei der Queen seinen Rücktritt einreichen. Danach steigt die neue Chefin der Konservativen Partei, Innenministerin Theresa May, in ihren Dienstwagen, um zum Buckingham-Palast zu fahren. Dort findet dann statt, was man als die Zeremonie des Handkusses bezeichnet: Elizabeth II. ernennt Theresa May zur Premierministerin. Sie wird der 13. Regierungschef sein, den die Queen in ihrer Herrschaft erlebt hat, und Großbritannien bekommt mit Theresa May die zweite weibliche Amtsinhaberin nach Margaret Thatcher.

Ob sie sich als eine neue Thatcher, als eine "Eiserne Lady" sehe, wurde May gefragt, als sie sich Anfang Juli als Kandidatin für den Posten des Parteivorsitzes vorstellte. "Ich bin meine eigene Frau", protestierte die 59-Jährige. "Ich bin Theresa May, und ich denke, dass ich die beste Person bin, um Premierministerin dieses Landes zu werden." Sie will sich nicht in Schubladen einordnen lassen. Auch den Vergleich mit Angela Merkel mag die kinderlose Pfarrerstochter nicht gerne hören. Aber es gibt schon eine ganze Reihe von Charakteristiken, die May mit Merkel verbinden.

Brexit: Zehntausende Protestieren in London
7 Bilder

Zehntausende protestieren gegen Brexit in London

7 Bilder
Foto: ap

Als May mit Mitte 20 ihren Vater bei einem Autounfall verlor und wenig später ihre Mutter an Multipler Sklerose starb, war sie längst geprägt von den protestantischen Werten. Bis heute besucht sie regelmäßig die Sonntagsmesse. Der christliche Glaube sei "Teil dessen, was ich bin, und meiner Art, wie ich Dinge angehe", sagte May einmal. Von Angela Merkel stammt die Aussage: "Die Bibel ist kein Handbuch für die Gestaltung von Politik. Aber es ist wichtig, dass es die christlichen Grundwerte als ethischen und moralischen Kompass gibt." Eindeutig sind auch die Parallelen beim Familienstand: May und Merkel sind beide mit Männern verheiratet, die in der zweiten Reihe stehen. Selbst die Feriengestaltung ähnelt: May wandert mit ihrem Mann Philip, einem Banker, gerne durch die Schweiz, Angela Merkel und Joachim Sauer zieht es zum Wandern nach Südtirol. Zudem eint beide Politikerinnen: Kompetenz, Verhandlungsgeschick, Nüchternheit, Nervenstärke, Detailwissen und nicht zuletzt ein stählerner Machtwille, gepaart mit einem unbedingten Glauben an sich selbst.

May, die schon im Alter von zwölf Jahren der Konservativen Partei beitrat, ist allerdings politisch nicht so einfach zuzuordnen. Sie vertritt stramm rechte Positionen bei klassischen konservativen Politikfeldern wie Verteidigung, Einwanderung oder Recht und Ordnung. Sie hat sich aber auch als sozial-liberal geoutet, als sie vehement für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe stritt. Und sie war diejenige, die bei den Konservativen das Projekt begann, die Partei zu modernisieren und in die Mitte der Gesellschaft zu holen. "Wisst ihr", sprach sie 2002 als Generalsekretärin zu den Delegierten des konservativen Parteitags, "wie die Leute uns nennen? Die fiese Partei." Das hat sich mittlerweile geändert.

Aus den einstmals homophoben, sozialdarwinistischen und mit sehr rechten Positionen liebäugelnden Konservativen ist eine Volkspartei geworden, die einen "mitfühlenden Konservatismus" propagiert. May hatte diese Entwicklung angeschoben, David Cameron, der 2006 Parteivorsitzender wurde, hat sie weiter vorangetrieben, und man darf sich sicher sein, dass die neue Premierministerin das Projekt einer sozial-liberalen Ausrichtung weiter verfolgen wird. Indem sie die Konservative Partei weiter in die Mitte und teilweise sogar auf sozialdemokratisches Terrain rückt, verfolgt sie auch eine klare Machtstrategie: Sie will damit der Labour-Partei das Wasser abgraben. Was ihr jetzt, wo sich die Opposition gerade selbst zerfleischt, leichter denn je fallen sollte.

Wenn May heute Abend vom Palast zurückgekehrt ist und vor der Tür in der Downing Street zum Volk gesprochen hat, liegt viel Arbeit vor ihr. Die erste Aufgabe wird sein, ihr neues Kabinett zusammenzustellen. Eine der wichtigsten Ernennungen betrifft ein neu geschaffenes Ressort: das Ministerium für die Brexit-Verhandlungen, das May versprochen hat, mit einem Brexit-Befürworter zu besetzen. Für den Posten würde sich der ehemalige Justizminister Chris Grayling anbieten. Der neue Brexit-Minister wird sich einem Problem gegenübersehen, das der Quadratur des Kreises gleichkommt: Mays Vorgabe, einen möglichst günstigen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu erzielen, mit ihrer anderen Vorgabe zu versöhnen - nämlich wieder Kontrolle über die Einwanderung zu erreichen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort