Persönlich Thilo Sarrazin . . . weiß es wieder besser

Ich habe mich bemüht, dem Laster der Besserwisserei nicht nachzugeben", schreibt Thilo Sarrazin in seinem jüngsten Buch "Wunschdenken". Selbst wer das Werk noch nicht kennt, dafür aber den Autor, mag sich fragen: Kann das gutgehen? Oder ist auch das reines Wunschdenken? Allein die Titel der vorausgegangenen Publikationen des früheren Bundesbank-Vorstands, Berliner SPD-Senators und Chefplaners bei der Deutschen Bahn, "Deutschland schafft sich ab" (2010) und "Europa braucht den Euro nicht" (2012), zeugen nicht unbedingt von falscher Bescheidenheit. Etwa so provozierend forsch wie der unvergessene Rat für sozial Schwache, denen die Heizkosten über den Kopf zu wachsen drohen: Einfach einen dicken Pulli anziehen (übrigens im Interview mit unserer Redaktion).

Nun also "Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung - warum Politik so häufig scheitert". Ein wuchtiges Werk von fast 600 Seiten, das Sarrazin gestern in Berlin vorstellte. "Von außen hat man meist ein falsches Bild von Politik", findet der 71-Jährige. "Man überschätzt das Wissen, was in eine Entscheidung einfließt, und schreibt dem Prozess eine Ratio zu, die er gar nicht hat." Die Entscheidung der Kanzlerin zur Öffnung der Grenze für Flüchtlinge passt jedenfalls nicht in das Bild, das der Bestsellerautor von der sonst so rationalen Regierungschefin hat. Er selbst kommt nicht zum ersten Mal zu dem Befund, dass Deutschland seinen Wohlstand und sein kulturelles Erbe durch kaum zu begründenden Idealismus auf Spiel setzt.

Sarrazin ist sich treu geblieben, ein Provokateur, dem die einen Menschenverachtung, Volksverhetzung gar, vorwerfen und den andere für Mut und Offenheit rühmen. Auch über seinen jüngsten Debattenbeitrag wird heiß diskutiert werden, über seinen Vorschlag etwa, Flüchtlinge einfach an jene Gestade zurückzubringen, von denen sie in See gestochen sind. Ob das die Lösung ist - oder einfach nur Wunschdenken, dürfte sich dann zeigen.

Martin Bewerunge

(RP)
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