Berlin Tödlicher Hitzschlag: Truppe räumt Fehler ein

Berlin · Laut Zwischenbericht waren die Soldaten in Munster an einem warmen Tag zu dick bekleidet und mussten zu lange marschieren.

Sechs Wochen nach dem verhängnisvollen Fußmarsch von Offiziersanwärtern mit einem Toten und zehn Verletzten hat die Bundeswehr ein Fehlverhalten von Vorgesetzten eingeräumt. Ein neuer Zwischenbericht verweist zwar darauf, dass kein Umstand erkennbar sei, der alle Hitzschläge der betroffenen vier Soldaten erklären könne, kritisiert jedoch Vorgaben zur Bekleidung der Teilnehmer sowie Befehle wie Laufschritt und Liegestütze, die zu den tragischen Entwicklungen beigetragen hätten.

Kritisch geht der Bericht mit der Entscheidung der Vorgesetzten um, die Soldaten vor dem angesetzten Gewöhnungsmarsch von sechs Kilometern noch einmal vom Ort der Ausbildung drei Kilometer in die Kaserne zurückzuschicken, um vergessene Ausrüstungsgegenstände zu holen. Punkt 1: Bereits vor Verlassen der Kaserne hätte die Ausrüstung überprüft werden müssen. Punkt 2: Der Befehl zu den beiden Zusatzmärschen widerspreche dem Ausbildungsziel, die Soldaten schrittweise an körperliche Belastungen heranzuführen. Weiter wörtlich: "Phasenweise Laufschritt, erhöhtes Marschtempo oder Liegestütze wiedersprechen der Zielsetzung eines solchen Eingewöhnungsmarsches und sind zu unterlassen." Und weiter: "Wäre es eine erzieherische Maßnahme gewesen, wäre sie falsch."

Die Abläufe am 19. Juli beim Offiziersanwärterbataillon im niedersächsischen Munster sind inzwischen genau rekonstruiert. Danach war der erste Soldat bereits nach 2,7 Kilometern vor dem Erreichen der Kaserne kollabiert; er starb zehn Tage später an den Folgen eines Hitzschlages. Der zweite brach kurz vor Ende des Rückmarsches zusammen. Er liegt immer noch auf der Intensivstation des Hamburger Bundeswehrkrankenhauses. Zwei weitere kollabierten während des folgenden Eingewöhnungsmarsches. Sie konnten inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen werden. Außerdem war eine Soldatin während der Zusatzmärsche dreimal benommen. Fünf weitere erlitten Verletzungen oder klagten über Schmerzen, einer war auf seiner Stube nicht mehr ansprechbar.

Ein Bundeswehrsprecher verwies darauf, dass jährlich 20.000 Rekruten derartige Ausbildungsphasen durchlaufen. Niemand könne sich an eine solche Häufung von Auffälligkeiten an einem einzigen Tag erinnern. Eine generelle Erklärung gebe es dafür nicht, nur eine jeweils "individuelle Addition mehrerer Faktoren". Sehr zurückhaltend geht der Zwischenbericht auf Gesundheitsrisiken der Soldaten am Tag der Ausbildung ein. Es seien zwar Medikamente, Kreatinpulver (zum Muskelaufbau) und verschiedene Energy-Drinks gefunden worden, doch sei die Zuordnung nicht eindeutig. Auch das Asthmaspray des später Verstorbenen bedeute keine Belastungsbeschränkung. Vor allem lege die nicht erklärbare Häufung von gleichzeitig vier Einzelfällen des seltenen Krankheitsbildes weitere Untersuchungen nach bislang nicht erkannten Ursachen oder Begleitumständen nahe.

Die von den Ausbildern für die Offiziersanwärter gewählte Bekleidung - Splitterschutzweste plus Feldjacke - wird von den Medizinern mit Blick auf die Witterung und den Leistungsstand der Soldaten eindeutig als "unangemessen" eingestuft. Später kamen sogar noch Helme hinzu. Laut Bericht sind erste Empfehlungen, nämlich eine "Anpassung der Anzugsregelung", bereits überall im Heer umgesetzt worden. Empfohlen wird zudem, die Ausbildung künftiger Ausbilder zu erweitern und sie insbesondere zu schulen, wie Kälte- und Hitzeschäden zu vermeiden sind.

Kritisiert wird in dem Bericht zudem, dass gleich mehrere Vorgesetzte bei Beginn der Ausbildung im Urlaub waren, insbesondere der für die Ausbildung verantwortliche Kompaniechef. Der ist als Disziplinarvorgesetzter nun für die Aufklärung und die daraus zu ziehenden Konsequenzen verantwortlich. Dem Vernehmen nach leidet die Untersuchung jedoch darunter, dass die Soldaten vor ihrem Vorgesetzten und vor dem Staatsanwalt unterschiedliche Aussagen gemacht haben sollen - möglicherweise, weil sie mit unterschiedlichen Fragen konfrontiert wurden. Auch die Ausbilder in Munster seien "emotional mitgenommen", berichtete ein Ministeriumssprecher.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen Unbekannt wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung. Sie veröffentlichte inzwischen das Ergebnis der Obduktion, wonach es zu einem "Multiorganversagen" gekommen sei und weitere Untersuchungen nötig seien.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen äußerte sich "sehr betroffen von dem Geschen an diesem Ausbildungstag in Munster". Es sei wichtig, die Ursachen genau zu analysieren, und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, "um das Risiko einer Wiederholung des tragischen Geschehens in Zukunft zu vermindern". Die Opposition kündigte für eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses in der nächsten Woche "neue Fragen" an. Diesen müsse die Ministerin "schnell und konsequent" auf den Grund gehen, sagte Bundeswehr-Expertin Agnieszka Brugger von den Grünen.

(may-)
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