Türkei fordert Russland heraus

Türkische Kampfjets haben eine syrische Maschine, die aus Moskau kam, zur Landung gezwungen. Das Flugzeug habe Munition nach Syrien transportieren sollen, heißt es in Ankara. Im Kreml fühlt man sich brüskiert – jetzt steht die jahrelange türkisch-russische Annäherung infrage.

moskau/Ankara Der Syrien-Konflikt verschärft sich – jetzt ist wegen des Bürgerkriegs dort auch noch Streit zwischen der Türkei und Russland ausgebrochen. Präsident Wladimir Putin hat seine Reise nach Ankara, die für diesen Sonntag geplant war, abgesagt – angeblich wegen eines "zu vollen Terminkalenders". Der wirkliche Grund aber ist die von den Türken erzwungene Landung eines Passagierflugzeugs auf dem Weg von Moskau nach Damaskus. Die Maschine sei voller Waffen gewesen, so der Vorwurf aus Ankara.

Der Linienflug RB 442 war am Mittwoch in Moskau gestartet. Als das Flugzeug den türkischen Luftraum erreichte, stiegen zwei türkische Kampfflugzeuge auf und zwangen den Airbus zur Landung in der türkischen Hauptstadt. Ihr Ziel hatte die Maschine der Syrian Air nicht erreicht: Damaskus. Die Maschine habe militärische Ausrüstung und Munition an Bord gehabt, teilte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan gestern mit. Das Material werde weiter geprüft, und "das Notwendige wird folgen", sagte er. Die Ladung war nach seinen Angaben für die syrischen Streitkräfte bestimmt.

Die Quelle für ihre Informationen über die brisante Fracht wollten Regierungsvertreter nicht nennen. Atilla Sandikli, Chef der Strategie-Instituts Bilgesam, sagte dem Sender NTV, wahrscheinlich sei die Türkei von westlichen Partnern alarmiert worden, möglicherweise den USA oder der Nato. Von türkischer "Luftpiraterie" sprach das Regime in Damaskus.

Die Maschine durfte nach neunstündiger Durchsuchung wieder starten. Das Verhältnis zwischen Moskau und Ankara aber bleibt angespannt. Denn der Kreml ist verärgert: "Es waren weder Waffen noch sonstige Systeme für Kampftechnik an Bord", hieß es aus dem russischen Außenministerium. "Wenn man Waffen exportieren wollte, dann würde das nach der üblichen Praxis geschehen, nicht auf illegalem Wege und noch dazu unter Nutzung eines Passagierflugzeugs", sagte ein Industrievertreter der Agentur Interfax. Russland wolle sich im Konflikt zwischen der Türkei und Syrien nicht auf eine Seite stellen, zitiert die russische Zeitung "Wedomosti" einen Kremlbeamten. Deshalb werde Putin nicht nach Ankara reisen – die Türkei steht eindeutig auf der Seite der syrischen Rebellen.

Die einstigen Rivalen Türkei und Russland – vor allem um Territorien am Schwarzen Meer hatten sich Russen und Türken stets gestritten, teils bekriegt – treiben eigentlich seit einigen Jahren ihre Zusammenarbeit voran, vornehmlich im Energiesektor. Gaspipeline-Projekte wie South Stream, das Leitungssystem von Russland nach Italien, das auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlaufen soll und das die Türkei unterstützt, aber auch die transanatolische Pipeline von Samsun am Schwarzen Meer bis nach Ceyhan am Mittelmeer, die wiederum Russland gutheißt, zeugen davon. Russland ist mittlerweile der größte Erdgaslieferant der Türkei. In einem Konsortium will es zudem am Bau und Betrieb eines türkischen Atomkraftwerks mitwirken. Das Projekt stockt derzeit allerdings.

Die russische Annäherung an die Türkei sorgte auch geopolitisch für neue Anknüpfungspunkte und brachte beispielsweise das scheinbar festgefügte Panorama im instabilen südlichen Kaukasus durcheinander. Vor allem in Armenien rief das eigentlich verbesserte Verhältnis der beiden großen Nachbarn Verunsicherung und Misstrauen hervor. Nach dem neuesten Zwischenfall aber geht Moskau auf Distanz zu Ankara – und will all die geplanten Projekte erst wieder im November ansprechen.

Die türkische Regierung war sich über die Gefahr ihres Vorgehens wohl im Klaren – sie wies die Luftfahrtgesellschaften des Landes an, syrischen Luftraum zu meiden. Ankara befürchtet, dass die Maschinen abgeschossen werden könnten.

Internet Chronologie des syrisch-türkischen Konflikts: rp-online.de/politik

(RP)
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