Brüssel Türkei setzt Nato-Mitgliedschaft aufs Spiel

Brüssel · Das Militärbündnis bezeichnet sich gerne als "einzigartige Wertegemeinschaft". In dieses Bild passen die Ereignisse in Ankara schlecht.

Die Schlagzeile der "Washington Post" sorgte in kürzester Zeit für große Aufregung. "Kerry warnt Türkei vor einem möglichen Verlust der Nato-Mitgliedschaft", überschrieb die renommierte Zeitung Anfang der Woche einen Beitrag auf ihrer Online-Seite. Kurz zuvor hatte sich der US-amerikanische Außenminister bei einem Besuch in Brüssel zutiefst besorgt über die Ereignisse im Land am Bosporus geäußert. Nicht nur die EU - "auch die Nato stellt in Sachen Demokratie Anforderungen", kommentierte John Kerry in Anspielung auf die Vorgänge nach dem Putschversuch.

Auch wenn die US-Seite schnell betonte, Kerry habe der Türkei damit natürlich keinen Rauswurf aus der Nato angedroht - die Frage des Umgangs mit dem Verbündeten stellt sich für die anderen Bündnispartner mehr denn je. Seit Jahren wird immer stärker betont, dass die Allianz nicht nur ein Verteidigungsbündnis, sondern auch eine Wertgemeinschaft sei. "Die Nato ist eine Allianz von Demokratien", erklärte erst jüngst wieder Generalsekretär Jens Stoltenberg in einer Rede. "Unsere gemeinsamen Werte - Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - sind die Quelle unseres Zusammenhalts. Und der Zusammenhalt ist unsere größte Stärke."

Problem ist nur, dass die Nato kaum etwas tun kann, wenn sich ein Mitgliedstaat von demokratischen und rechtsstaatlichen Standards verabschiedet. Jedes Land, das aufgenommen werden will, muss zwar nachweisen, dass es sie einhält. Wer einmal Nato-Mitglied ist, muss aber nach bisherigen Erfahrungen kaum mehr fürchten als Ermahnungen.

Beim größten Militärbündnis der Welt gibt es keinerlei Verfahren, das bei Verstößen gegen gemeinsame Standards Sanktionen oder gar einen Ausschluss vorsieht. So blieb beispielsweise Griechenland Nato-Mitglied, als von 1967 bis 1974 eine Militärjunta im Land reagierte. Und auch die früheren, erfolgreichen Militärputsche in der Türkei hatten keine Folgen für die Bündnismitgliedschaft des Landes. Dass die 27 anderen Nato-Mitglieder nun die Entwicklungen in der Türkei zum Anlass nehmen, um ein Ausschlussverfahren zu entwickeln, gilt theoretisch als möglich, praktisch aber als höchst unwahrscheinlich. Die Türkei verfügt über die zweitstärkste Nato-Armee nach den USA. Zudem gilt sie als äußerst wichtiger Partner im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Der türkische Nato-Stützpunkt Incirlik ist einer der wichtigsten für Luftangriffe auf die IS-Stellungen in Syrien und dem Irak. Neben mehr als 1000 Soldaten der US-Luftstreitkräfte sind dort auch rund 240 Bundeswehrsoldaten stationiert, die sich mit Aufklärungstornados und einem Tankflugzeug an den Anti-IS-Einsätzen beteiligen. Immer wieder gibt es zudem Gerüchte, dass die USA in Incirlik Atomsprengköpfe stationiert haben.

Als wahrscheinlich gilt deswegen, dass die Nato-Partner bis auf Weiteres mit Mahnungen versuchen werden, die Türkei wieder auf Kurs zu bringen. Kurz nach den aufsehenerregenden Äußerungen von Kerry wies Anfang der Woche auch Generalsekretär Stoltenberg noch einmal darauf hin, dass es für Mitglieder einer "einzigartigen Wertegemeinschaft" unerlässlich sei, sich an demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien zu halten - auch nach einem Putschversuch.

Wo ein Ansatzpunkt für politischen Druck liegen könnte, wird bislang nur hinter vorgehaltener Hand gesagt. So wird zum Beispiel auf die Unterstützung verwiesen, die andere Alliierte der Türkei aktuell in Bereichen wie Luftraumüberwachung und Raketenabwehr leisten. Das sei alles freiwillig, heißt es in Nato-Kreisen. Gleichzeitig wird angemerkt, dass sich auch der Druck auf die wegen ihrer Verfassungsreformen kritisierte polnische Regierung in der Nato sehr in Grenzen halte - und dass auch die umstrittene Todesstrafe in den USA kein Thema sei.

(dpa)
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