Deutsche "Patriot"-Raketen Zweifel am Bundeswehr-Einsatz in der Türkei

Berlin · Die deutschen "Patriot"-Raketen an der Grenze zu Syrien sind ein Zeichen der Nato-Solidarität. Ist diese Vereinbarung jetzt hinfällig?

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt sich am 25. März 2014 in Kahramanmaras in der Türkei von Oberst Stefan Drexler die Patriot-Anlagen zeigen. (Archivfoto)

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) lässt sich am 25. März 2014 in Kahramanmaras in der Türkei von Oberst Stefan Drexler die Patriot-Anlagen zeigen. (Archivfoto)

Foto: dpa

Seit zweieinhalb Jahren sind rund 250 Bundeswehrsoldaten zum Schutz der türkischen Großstadt Kahramanmaras mit "Patriot"-Flugabwehrraketen nahe der Grenze zum Bürgerkriegsland Syrien stationiert - zum Einsatz gekommen sind diese Waffensysteme bisher nicht.

Ihr militärischer Wert war angesichts der Bedrohungslage von Anfang an umstritten: "Patriot" können treffsicher Kampfflugzeuge und größere Flugkörper abfangen, nicht aber improvisierte Kleinraketen und Artilleriegeschosse. Die Terrormiliz IS besitzt weder Jets noch Raketen, und das syrische Assad-Regime hat keinen Grund, die Türkei mit schweren Waffen zu attackieren. Deshalb wurde die Stationierung gemeinsam mit Amerikanern und Niederländern als ein politisches Signal der Bündnissolidarität interpretiert, da die Türken die Nato um diesen Raketenschutz gebeten hatten.

Die jüngsten Angriffe der Türkei auf die Kurden drohen aber diese "Geschäftsgrundlage" zu verändern. Auch in Berlin mehren sich deshalb Stimmen, den deutschen "Patriot"-Einsatz zu beenden. Der Reservistenverband forderte gestern "die sorgfältige Gefahrenanalyse im Interesse unserer Soldaten". Präsident Roderich Kiesewetter, zugleich CDU-Bundestagsabgeordneter, hatte zuvor kritisiert, dass es in der Türkei nur "eine sehr schwache Sicherung der Bundeswehr-Einsatzkräfte" gebe.

Der Schutz des deutschen Kontingents sei "Sache der türkischen Gastgeber", erklärte das Einsatzführungskommando in Potsdam. Zur Sicherheit führten die in einer türkischen Kaserne untergebrachten Bundeswehrsoldaten Waffen zur Selbstverteidigung mit. Weder bestätigen noch dementieren wollte ein Sprecher, dass zurzeit ein Ausgehverbot verhängt worden ist: "Aber es wird alles dafür getan, dass unsere Soldaten wieder sicher in die Heimat zurückkommen."

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Einen Abzug aus Sicherheitsgründen hält Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, für überzogen. "Das türkische Camp ist gut geschützt, man sollte keine Horrorszenarien malen", sagte Arnold unserer Zeitung. Das gelte auch für die Bundeswehr-Soldaten, die im Nord-Irak kurdische Peschmerga-Kämpfer ausbilden.

Einen vorzeitigen Abzug aus der Türkei schließt der Bundeswehrverband nicht aus: "Das darf kein Tabu sein und muss im Parlament diskutiert werden", sagte der Vorsitzende der Interessenvertretung der Soldaten, Oberstleutnant André Wüstner, mit Blick auf mögliche Anschläge. Doch nach wie vor gelte der Nato-Auftrag, die türkische Bevölkerung zu schützen. "Das ist eine wichtige Verpflichtung gerade für Deutschland, das in dieser Legislaturperiode wieder mehr Verlässlichkeit in der Nato unter Beweis stellen möchte."

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"Bündnissolidarität ist keine Einbahnstraße und die Verlängerung des Patriot-Einsatzes keine reine Formsache", betonte Agniezska Brugger, die Bundeswehrexpertin der Grünen. "Wenn sich der türkische Präsident Erdogan innenpolitisch motiviert auf einen solchen gefährlichen Eskalationskurs begibt, darf Verteidigungsministerin von der Leyen das nicht im ersten Moment einfach naiv begrüßen." Auch der CSU-Sicherheitspolitiker Florian Hahn hatte in der "Welt" empfohlen, die "Patriot"-Stationierung zu überdenken: Deutschland und die Nato "sollten sich gut überlegen, ob wir uns vor den innenpolitischen Karren von Präsident Erdogan spannen lassen wollen".

Grünen-Chef Cem Özdemir warf Erdogan vor, das Land in ein "Mini-Pakistan" zu verwandeln. "Ich sehe ein Land, das ohne Not durch seinen Herrscher ins Chaos gestürzt wird", sagte Özdemir der "Passauer Neuen Presse". Unterdessen hat die Türkei ihre Luftangriffe ausgeweitet: In der Nacht zu gestern bombardierten Kampfjets mutmaßliche Kurden-Stellungen in der Türkei und im Nord-Irak. Dies verurteilte die irakische Regierung als Angriff auf die Souveränität ihres Landes.

Die Bundesregierung appellierte an Erdogan, den Friedensprozess mit den Kurden wieder in Gang zu setzen. Das Auswärtige Amt warnte verstärkt vor Anschlägen in der Türkei, insbesondere auf die U-Bahn und Bushaltestellen in Istanbul.

(may-)
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