Straßburg Ukraine bekennt sich zur EU

Straßburg · Trotz der anhaltenden Krise haben Straßburg und Kiew gestern das umstrittene Freihandelsabkommen beschlossen.

Straßburg: Ukraine bekennt sich zur EU
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"Das ist ein einmaliger Vorgang", sagt der deutsche Parlamentspräsident Martin Schulz, als die Liveschaltung in die Werchovna Rada zustande kommt. Das Europaparlament in Straßburg und die ukrainische Volksvertretung in Kiew haben gestern das so umstrittene Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine ratifiziert und damit in Kraft gesetzt. Via Großbildleinwand sagte der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko: "Es ist der erste, aber wichtigste Schritt hin zur Perspektive einer EU-Mitgliedschaft". Nach dem Votum, das mit 535 Ja- und 127 Nein-Stimmen deutlich ausfällt, gibt es stehende Ovationen.

Der Abstimmung vorausgegangen waren hektische diplomatische Bemühungen. So hatte der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen in Minsk Ende August das Angebot Poroschenkos angenommen, den Moskauer Bedenken gegenüber dem Handelsvertrag Rechnung zu tragen. Beim Nato-Gipfel in Wales Anfang September kam es - nachdem der Kreml eine mehr als 2000 Punkte umfassende Wunschliste übermittelt hatte - schließlich zu einem Gespräch zwischen Poroschenko, Kanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama und EU-Kommissionchef José Manuel Barroso. Ergebnis der Unterredung war, Putin nicht beim bereits verabschiedeten Wortlaut des Abkommens, sondern bei dessen Auslegung entgegenzukommen. In diesem Sinne einigte sich EU-Handelskommissar Karel de Gucht am Freitag mit Unterhändlern aus Moskau und Kiew in Brüssel. "Ohne diese Einigung vom Freitag hätte es heute keine Ratifizierung geben können", so De Gucht.

Der entscheidende Teil des Deals ist, dass der wirtschaftliche Teil des Abkommens erst ein Jahr später zur Anwendung kommt und nicht wie der politische sofort. Gleichzeitig wird die EU die einseitigen Handelspräferenzen für die Ukraine, die seit Juni zu einem Exportanstieg um 15 Prozent geführt haben, bis zum 31. Dezember 2015 verlängern. Das führt im Ergebnis dazu, dass die Produkte des wirtschaftlich schwer angeschlagenen Landes auch weiter quasi zollfrei in die Gemeinschaft eingeführt werden können. "Die Vorteile, die wir der Ukraine jetzt schon gewähren , bleiben erhalten", betont De Gucht. Waren aus der EU dagegen werden in der Ukraine noch nicht billiger.

Zum wirtschaftspolitischen Part, der nun verzögert in Kraft treten soll, gehört auch die Angleichung von ukrainischen Standards etwa im Lebensmittelbereich an das EU-Recht. Moskau hatte deswegen die Befürchtung geäußert, dass russische Produkte diesen neuen Standards nicht mehr entsprechen und damit benachteiligt sein könnten. Die zusätzliche Zeit bis zum Inkrafttreten dieser Passagen soll nun genutzt werden, um einvernehmliche Lösungen zu finden.

Doch es gibt auch kritische Stimmen: "Der Kompromiss zum Freihandel ist eine politische Zumutung", sagte etwa die Grünen-Fraktionschefin Rebecca Harms. Er sei "erst dann gut, wenn er wirklichem Frieden, der territorialen Integrität und der Selbstbestimmung der Ukraine dient". Die Linke dagegen stimmte mit Nein, weil das Verfahren durch das Parlament gepeitscht worden sei und etwa der Innenausschuss erst am Vorabend sein Votum abgeben konnte. Auch viele Befürworter stimmten mit einem mulmigen Gefühl mit Ja. Sie befürchten, dass der wirtschaftspolitische Teil des Abkommens nun niemals umgesetzt wird. "Länger als bis Ende 2015 darf sich die Verschiebung auf keinen Fall hinziehen", mahnte FDP-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff: "Sollte sich herausstellen, dass es Russland nur darum geht, die Beziehungen zu erschweren, muss auch der Freihandelsteil in Kraft treten."

(RP)
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