Moskau Ukraine fürchtet die Hilfe der Russen

Moskau · 2000 Tonnen Hilfsgüter sendet Moskau nach Lugansk. Aber die Ukraine argwöhnt, unter den Lieferungen könnten auch Waffen sein.

Wie in einer Geheimmission ziehen die Russen ihren Hilfseinsatz für die Ost-Ukraine durch. Der drei Kilometer lange Zug aus 280 weißen Lastwagen rollt auf das Konfliktgebiet Lugansk zu - dorthin, wo seit Tagen die Menschen weder Wasser noch Strom haben. Kindernahrung, Fleischkonserven, Trinkwasser und Medikamente, aber auch Schlafsäcke und Stromgeneratoren hat der Konvoi geladen. Doch um die "humanitäre Hilfsaktion" der Russen ist international ein Streit entbrannt.

Als "absurd" weist Moskau Vorwürfe zurück, Waffen für die prorussischen Separatisten könnten Teil der Fracht sein. Jetzt werde sogar die "humanitäre Hilfe" vom Westen für "eigennützige politische Interessen" missbraucht, empört sich die russische Boulevardzeitung "Komsomolskaja Prawda". Viele Russen sind fassungslos, dass notleidende Menschen in einem Kriegsgebiet nicht schnell Hilfe bekommen, weil die Herkunft der Güter umstritten ist.

Das Internationale Rote Kreuz (IKR) und die Ukraine aber sehen sich überrollt vom Angebot der Russen, das so schnell niemand erwartet hat. Der aus dem Moskauer Vorort Naro-Fominsk nach Woronesch in die Spur gesetzte Konvoi nahm gestern Kurs auf Belgorod rund 600 Kilometer südlich von Moskau bis zum Grenzpunkt Schebekino nahe der ost-ukrainischen Stadt Charkow, wie Medien berichteten. Das IRK meldete gestern unterdessen, die Regierung in Moskau habe eine Liste über die Ladung der Fahrzeuge geliefert. Diese sei auch nach Kiew gegangen.

Auf Wunsch der Ukrainer nehmen die Russen den Umweg über das von der Regierung in Kiew kontrollierte Gebiet. Moskau will den Verdacht zerstreuen, womöglich doch die prorussischen Separatisten zu unterstützen. Die militanten Kräfte kontrollieren das Gebiet Lugansk, wo viele Menschen auf Hilfe warten.

Verteilen soll das IRK die Güter. "Wir nehmen Rücksicht darauf, wo die größte Not ist - und auf Fragen der Sicherheit", sagt die Sprecherin des Roten Kreuzes in Moskau, Viktoria Sotikowa. Russland hofft, dass die Hilfe heute noch bei den betroffenen Menschen ankommt. Seit Langem schon ärgern sich Politiker in Moskau darüber, dass Kiew die "humanitäre Katastrophe" nicht beachte - und viel lieber mit der Nato und den USA über Militärhilfe spreche. Wohl auch wegen der Offensive der ukrainischen Armee kommt der russische Hilfskonvoi für die Führung in Kiew zur Unzeit.

Dabei hatte die ukrainische Regierung gestern mitgeteilt, man werde nun auch selbst eine Ladung Hilfsgüter ins umkämpfte Krisengebiet Donbass entsenden. Der Konvoi solle heute aufbrechen, sagte die Ostukraine-Beauftragte Irina Geraschtschenko.

Kremlchef Wladimir Putin versucht in dem blutigen Konflikt seit jeher, von sich das Bild eines Friedenszaren zu zeichnen, der den Einsatz der Armee "gegen das eigene Volk" ablehnt. Putin fordert Waffenruhe und den Dialog mit der russischsprachigen Bevölkerung über die Zukunft der Ost-Ukraine.

Dagegen inszeniert sich der wegen seiner Süßwarengeschäfte auch "Schokozar" genannte neue ukrainische Präsident Petro Poroschenko immer wieder als starker Feldherr in Tarnuniform. Erst kürzlich führte der von der EU und den USA unterstützte Poroschenko eine Kriegssteuer ein, um vor allem die bisweilen demoralisierten Soldaten besser zu ernähren, mit Waffen auszurüsten und medizinisch versorgen zu können.

Moskaus Medien und die Regierung kritisieren, dass sich bis jetzt niemand in der Ukraine oder im Westen um die Notlage der Menschen in der Ost-Ukraine gekümmert habe. Die Bilder toter Zivilisten auf den Straßen im Donbass, von den vor Bomben zitternden Menschen in Kellern und von weinenden Bewohnern in Kriegsruinen bestimmen die Berichterstattung in Russland über den Konflikt.

Zehntausende Ukrainer sind bereits nach Russland geflüchtet. Auf die Appelle vieler Menschen, auch in die Separatistengebiete Lugansk und Donezk endlich die russische Armee zu schicken, hat Putin bisher ablehnend reagiert.

Die humanitäre Aktion gilt deshalb auch als Antwort auf die Hilferufe aus der Ost-Ukraine. Welche Pläne Putin sonst noch hat, darauf dürfte es heute eine Antwort geben. Dann äußert sich der Kremlchef auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim zur Lage. Dabei dürfte er auch betonen, dass die im März der Ukraine entrissene Krim nur deshalb ein blutiges Schicksal wie der Ost-Ukraine erspart geblieben ist, weil Russland dort die Kontrolle übernommen hat.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort