Interview "Ukraine-Konflikt hat die Nato wieder zusammengeführt"

Düsseldorf · Der Viersterne-General a.D. Wolf-Dieter Langheld (63) war von 2010 bis 2012 als ranghöchster deutscher Nato-Kommandeur der Oberbefehlshaber des Joint Force Command Brunssum, eines der beiden militärischen Oberkommandos der Nato in Europa. Im Interview mit unserer Redaktion bewertet er den Gipfel des Bündnisses in Wales.

General a.D. Wolf-Dieter Langheld beim Abnehmen einer Parade in Afghanistan.

General a.D. Wolf-Dieter Langheld beim Abnehmen einer Parade in Afghanistan.

Foto: NATO / Hecht

Herr General, wie bewerten Sie den Nato-Gipfel in Wales?

Langheld Das Bündnis hat durch den Ukraine-Konflikt wieder zueinander gefunden. Es ist nachvollziehbar, dass Mitgliedsstaaten wie Estland, Portugal oder Kanada sehr unterschiedliche Vorstellungen von Sicherheit haben. Früher dominierten häufig solche Einzelinteressen und verhinderten die in der Nato notwendigen einstimmigen Beschlüsse. Psychologisch wie politisch war dieses Gipfeltreffen daher von sehr hoher Bedeutung.

Ist für Sie die gemeinsame neue Fokussierung auf die Nordost-Flanke des Bündnisses überraschend?

Langheld Nein. Als Nato-Kommandeur war ich viermal in allen baltischen Staaten und habe ihre kontinuierliche Angst vor einer russischen Aggression gespürt, auch auf der Straße. Diese große Sorge ist durch die Annexion der Krim und die Vorgänge in der Ost-Ukraine noch mehr verstärkt worden.

Welche militärischen Konsequenzen hat dieser Gipfel?

Langheld Die Bildung einer neuen schnellen Eingreiftruppe ist ein Signal an den russischen Präsidenten. Es gibt ja schon seit vielen Jahren die Nato-Response-Force, die jedes Jahr neu zusammengestellt, ausgebildet und zertifiziert wird. Aus Sicht des Kommandeurs ist die entscheidende Frage: Wie schnell können diese Verbände im Krisenfall vor Ort sein? Die baltischen Staaten sind so klein, dass sie vermutlich im Fall einer Invasion nicht rechtzeitig eintreffen würden. Bedenken Sie die Wirkung jenes Satzes von Wladimir Putin auf die Balten: Wenn er wolle, könne er in zwei Wochen in Kiew stehen. Die ukrainische Hauptstadt ist ungleich weiter von Russland entfernt als Estland und Lettland, die noch dazu wie Litauen die Ostsee im Rücken haben.

Was heißt das aus militärstrategischer Sicht?

Langheld Für sinnvoller halte ich ein System, das es unter der Bezeichnung "Reforger" in Zeiten des Kalten Krieges gegeben hat: Waffen und Material waren bereits in der Bundesrepublik gelagert, nur die Soldaten hätten noch aus den USA eingeflogen werden müssen. Das hatte und hätte wieder eine militärisch abschreckende Wirkung. Aber aus dem politischen Blickwinkel gibt es dabei zu bedenken: Triebe man den russischen Präsidenten damit ungewollt zu weiteren Aktionen? Das kann nicht unser Ziel sein. Insofern erscheint mir das vorsichtige abgestufte Vorgehen auf dem Gipfel politisch sinnvoll. Auch den Nato-Russland-Vertrag mit seinen wichtigen Errungenschaften wie einem russischen Botschafter bei der Nato sollte man nicht ohne Not aufgeben. Denn bei allem gilt: Es gibt eine Zeit nach dem Ukraine-Konflikt und eine Zeit nach Putin.

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