Ukraine-Krise Hat die Diplomatie gegen Russland schon verloren?

Berlin · Nach jedem "Durchbruch" verschlimmerte sich die Lage in der Ukraine. Ein Team von OSZE-Beobachtern ist weiter in der Gewalt von prorussischen Separatisten. Jetzt setzt der Westen auf eine neue Runde von Sanktionen gegen Moskau.

Die Ukraine-Krise entwickelt sich für die deutsche Diplomatie, als führte ein zynischer Thriller-Autor die Regie. Am 20. Februar war Außenminister Frank-Walter Steinmeier überglücklich, als es ihm in aufreibenden Tag-und-Nacht-Krisentreffen gelungen war, den Bürgerkrieg auf den Straßen von Kiew zu verhindern. Doch tags darauf entstand eine Entwicklung, die in die Annexion der Krim durch Russland mündete. Auch Gründonnerstag kam große Freude auf, als beim Außenministertreffen in Genf der Durchbruch für eine friedliche Lösung in der Ukraine geschafft war. In der Folge ist die Ukraine jedoch an den Rand eines Krieges gerückt.

Je erfolgreicher die Außenpolitik, desto dramatischer die nachfolgende Eskalation: Kann die Diplomatie nach diesen Erfahrungen überhaupt noch etwas retten? "Die russische Provokation kann nicht länger hingenommen werden", sagt selbst der Grünen-Außenexperte Omid Nouripour. Sollte Moskau so weiter-machen und die territoriale Souveränität der Ukraine bedrohen, werde die dritte Stufe der EU-Sanktionen in Kraft treten müssen. Ohne es so konkret zu sagen, machten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Polens Premier Donald Tusk bei ihrem Treffen in Berlin deutlich, dass es nun um noch schärfere Sanktionen gehen werde.

"Die Situation gerät offenbar außer Kontrolle", stellt Unions-Außenpolitiker Philipp Mißfelder fest. Gerade deshalb unterstützt er alle Bemühungen, mit Russland im Gespräch zu bleiben. "Es geht nicht darum, Stärke zu zeigen, sondern um eine politische Lösung für die Zukunft der Ukraine", betont der Unionsexperte. Und er vermutet, dass die ökonomischen Folgen einer weiteren Eskalation "wohl nicht allen klar sind, weder im Westen noch in Russland".

Das ist für die deutsche Diplomatie der springende Punkt: Sie kann nur langfristig über eine Verschlechterung von Russlands wirtschaftlicher Lage ein Nachdenken im Kreml erwarten. Kurzfristig wird der Westen Russland nicht zum Einlenken zwingen können. Denn eine militärische Konfrontation oder auch nur die Drohung damit kommt für die Nato-Staaten nicht infrage.

Wenn Russlands Präsident die Ost-Ukraine nach dem Muster der Krim zuerst gegen Kiew in Aufruhr versetzt und dann per Volksentscheid unter den russischen Ukrainern Russland einverleiben will, wird der Westen ihn darvon nur verbal und mit ständig weiterem Drehen an der Schraube der Sanktionen abzuhalten versuchen. Kurzfristig könnte sich Putin nur vom Risiko kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen und russischen Truppen abschrecken lassen. Möglicherweise setzt er darauf, die russische Aggression zu bemänteln, indem er, wie auf der Krim, Militärs und Spezialkräfte ohne Hoheitsabzeichen als Pseudo-Ukraine-Separatisten über die Grenze schickt, um die Region nachhaltig zu destabilisieren.

"Die Bundesregierung muss bei den Verantwortlichen in Kiew und Moskau auf die Einhaltung der Genfer Verabredungen dringen", sagt Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich. Dazu gehöre, rechte ukrainische Gruppen zu entwaffnen, und durch Separatisten besetzte öffentliche Gebäude zu räumen.

In Berlin sind sich Regierung und Opposition einig, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) durch eine massiv aufgestockte Beobachtermission zur Deeskalation beitragen könnte. Steinmeier versuchte, diese Option schnell auf den Weg zu bringen. Die Absicht des Westens, Moskau mit der Drohung verschärfter wirtschaftlicher Sanktionen ein klares Signal zu geben, interpretiert derweil der Schweriner Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) eigenwillig: Er will Montag nach Russland fliegen. Ausdrücklich zu wirtschaftlichen Gesprächen am Rande eines Empfanges des Pipeline-Konzerns Nord Stream für Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD).

(may-)
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