Analyse Union und SPD kämpfen um die Mitte

Berlin · Union und SPD wollen plötzlich beide ihr wirtschaftspolitisches Profil schärfen. Nicht nur die schlechtere Konjunktur zwingt sie dazu. Die Wirtschaft kann im Rest der Legislaturperiode auf ein freundlicheres Klima hoffen.

Sigmar Gabriel ist Hobby-Segler. Er besitzt sogar einen Segelschein für die nahen Küstengebiete. "Beim Segeln kommt es nicht darauf an, woher der Wind weht", sagt der SPD-Vorsitzende. Es komme vielmehr darauf an, wie der Segler seine Segel setze und welchen Kurs er einschlage.

Auch in der Politik lässt sich der Vizekanzler davon leiten. Schon seit dem Frühjahr arbeitet er an einer Kursänderung seiner Partei: Sie soll jetzt die Finger weglassen von linken Umverteilungsthesen, neuen sozialen Wohltaten, falschen oder unerfüllbaren Steuererhöhungsblütenträumen. Die SPD müsse mehr Wirtschaftskompetenz zeigen. Nur so werde sie für Wähler der bürgerlichen Mitte attraktiver, nur so könne sie eines Tages wieder den Kanzler stellen, meint Gabriel.

Dumm nur, dass der Platz in der eher wirtschaftsfreundlichen Mitte von den Unionsparteien schon seit Jahren ziemlich gut ausgefüllt wird. CDU und CSU überzeugen regelmäßig um die 40 Prozent der Wähler, trotz des Auftauchens der AfD. Die SPD hatte bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen insgesamt mehr als eine Million Wähler an die Union verloren, bis heute kommt sie in Umfragen über 25 Prozent nicht hinaus. Trotzdem hat auch die Union erkannt, dass sie künftig mehr tun muss, um ihre bürgerlichen Wähler weiterhin zufrieden zu stellen: Auch CDU und CSU wollen ihr Wirtschaftsprofil im Rest der Legislaturperiode schärfen.

Aus der parlamentarischen Sommerpause kam die Unionsspitze mit einer klaren Ansage an den Koalitionspartner: Wir machen nichts mehr an sozialen Wohltaten mit, das über die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hinausgeht. In der Unionsfraktion soll die Kanzlerin vergangene Woche sogar eine Art Basta-Auftritt gehabt haben, erzählen Teilnehmer der Sitzung. "Sie sehen mich als zufriedenen Menschen", sagt ein führender CDU-Wirtschaftspolitiker anschließend. Der Wirtschaftsflügel der Union, der lange überhört worden sei, werde nun Oberwasser gewinnen.

Zusätzlich Wind in ihre Segel bekommen die Wirtschaftspolitiker durch die jüngsten Konjunkturprognosen. Der deutsche Aufschwung, den viele Großkoalitionäre im ersten Halbjahr noch für "unkaputtbar" gehalten haben, ist gefährdet. Die Ukraine-Krise, die Unsicherheiten infolge der übrigen internationalen Krisen, die schwächelnde Euro-Wirtschaft haben die gute Stimmung der deutschen Wirtschaft verhagelt. Ein Wirtschaftsforscher nach dem anderen halbiert derzeit seine Wachstumsprognose. Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft, das sich gern optimistisch gibt, reduzierte seine Vorhersage von zwei auf nur noch knapp 1,5 Prozent für 2014 und gut ein Prozent für 2015.

An der von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplanten Anti-Stress-Verordnung will die Kanzlerin jetzt ein Exempel statuieren: Merkel habe sie abgeräumt, hieß es nach der Fraktionssitzung der Union. "Die Anti-Stress-Verordnung wird es nicht geben, das ist bereits entschieden", bestätigt Joachim Pfeiffer, der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion. In der SPD wollen sie das bisher zwar noch nicht glauben, doch wird Gabriel hier eher mit der Kanzlerin gehen, als seine Ministerin dabei zu unterstützen, Arbeitgebern das Leben schwer zu machen.

Schon bei der Mietpreisbremse zeigte die Unionsfraktion, woher der neue Wind weht: Sie entschärfte die Pläne des SPD-Justizministers an wichtiger Stelle. Heiko Maas hatte die Mietpreisbremse auch für Neubauten nach einer Erstvermietung einführen wollen. Die Union setzte durch, dass sie generell auf Neubauten nicht angewendet wird.

Auch bei der von den SPD-Sozialpolitikern gewünschten Teilrente mit 60 wird sich die Union querstellen. "Mit der Union wird es keine Teilrente mit 60 geben, wie sie einigen in der SPD vorschwebt. Das wäre ja nach der ohnehin schon falschen Rente mit 63 ein weiteres Signal in die falsche Richtung, nämlich hin zu mehr Frühverrentungen", versichert CDU-Wirtschaftspolitiker Pfeiffer. Noch hat die Union diesen Kurs in der zuständigen Koalitionsarbeitsgruppe zwar nicht endgültig durchgesetzt. Aber auch hier ist davon auszugehen, dass die Rentenpolitiker der SPD, die mit der Teilrente schon ab 60 statt ab 63 Jahren einen Wunsch der Gewerkschaften erfüllen möchten, zurückstecken müssen: Die Teilrente mit 60 ginge klar über den Koalitionsvertrag hinaus.

Die Union hat das Problem, kaum selbst in die gestalterische, aktive Rolle zu kommen und bisher immer nur kontraproduktive Pläne der SPD-Minister abzuwehren. Auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik bleiben ihr nur dann Themen zur Profilierung, wenn sie mit dem Kanzleramt oder mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach Hause gehen. Die Union treibt daher nun das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen TTIP voran, das eine ureigene Erfindung der Kanzlerin gewesen ist. "An erster Stelle steht das Freihandelsabkommen TTIP, das wir unbedingt gegen alle Kritik durchbringen müssen", sagt Pfeiffer. Schäuble soll 2015 auch mit dem ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 40 Jahren glänzen, mit der Bund-Länder-Finanzreform und der steuerlichen Förderung von Forschung und Wagniskapital.

Doch auch die SPD hat ein Problem. Sie wird künftig weniger daraus machen können, dass sie so viele interessante Minister stellt. Denn die werden künftig weniger gestalten können. Der neue Kurs zwingt die Genossen, eigene Ankündigungen zurückzunehmen - siehe Anti-Stress-Verordnung - und die SPD-geführten Bundesländer und die eigene Wählerklientel zu enttäuschen.

Wie heikel das ist, zeigt schon der Spagat Gabriels in der Rüstungspolitik: Einerseits will er mit Blick auf die Stimmung in der SPD den Export von Rüstungsgütern beschneiden. Andererseits stehen ihm die Rüstungsfirmen, deren Betriebsräte und auch der Koalitionspartner auf den Füßen, der Rüstungsindustrie nicht durch weitere Exportbeschränkungen den Garaus zu machen.

Aber als Segler weiß Gabriel ja, wie schnelle Wenden und Halsen gehen.

(mar)
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