Rom Unsere Frau im Vatikan

Rom · Seit 2014 ist Annette Schavan Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Das ist ein größtenteils beschaulicher Job - heikle Seiten gibt es trotzdem.

Annette Schavan ist eine treue Katholikin. Das gilt für eine deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl nicht als Voraussetzung, aber auch nicht als hinderlich. Ist der im Diplomatischen Corps begehrte Repräsentationsdienst beim "Stellvertreter Christi" für Annette Schavan, die ihre Tage mit Morgengebeten beginnt und mit der Vesper ausklingen lässt, die Erfüllung des Lebens? Die Neusserin mit Ferienbleibe am Bodensee steht auf der Terrasse der "Residenza Paolo VI". Sie lässt den Blick über Berninis Petersplatz-Kolonnaden schweifen. Dann antwortet sie: "Nein, so möchte ich das nicht überhöhen. Wer wie ich 20 Jahre Politik gemacht hat und sagt, erst jetzt hat sich mein beruflicher Traum erfüllt, der macht Politik ein bisschen klein. Aber", fährt die studierte Theologin fort, "für mich schließt sich hier als Botschafterin ein Lebenskreis."

Es hätte ärger kommen können für die 60-Jährige, der die Universität Düsseldorf wegen Täuschungsabsicht den 1980 erlangten Doktortitel in Erziehungswissenschaften aberkannt hat. Eine politische Karriere ging 2013 abrupt zu Bruch. Ist die Katholikin womöglich durch eine Art Fegefeuer gegangen? Und ist dem Fegefeuer am Ende der Himmel über Rom gefolgt?

Der Himmel ist für sie wohl nicht das bequeme Leben in der Botschaftsresidenz auf dem Pincio-Hügel mit 25 Mitarbeitern einschließlich Fahrer und Koch. Der Himmel wäre es für diese sich tief gekränkt und unfair behandelt fühlende Frau wohl, wenn sich endlich ihre Überzeugung durchsetzte, dass sie in ihrem Leben niemanden getäuscht habe. Es gab nach der Uni-Entscheidung auch seriöse Meinungen, dass es sich um ein Fehlurteil zu ihren Lasten gehandelt habe. Schavan beteuert, sie vermisse Berlin nicht mit seinem politischen Gewusel, dem Minister-Termindruck und dem ständigen Entscheidenmüssen: "Jetzt stehen Beobachtung, Verstehen, Übersetzen im Mittelpunkt."

Mitten im Gespräch, die Petersdom-Uhr schlägt zwölf, erscheint Papst Franziskus am Fenster des Apostolischen Palastes. Das sonntägliche Angelus steht an, Zigtausende auf dem Petersplatz brechen in Jubel aus. Annette Schavan geht zur Brüstung. Sie freut sich über den Argentinier. Bislang sei ihr liebster Papst der Konzilsvater Johannes XXIII. (1958-1963) gewesen; nun habe sich Franziskus hinzugesellt.

Sie teilt die Auffassung des deutschen Kardinals Walter Kasper, der meint, Franziskus allein sei schon ein Reformschritt. "Vergleichen Sie die Berichterstattung über die katholische Kirche vor fünf Jahren mit der heutigen. Schwächen gibt's jetzt auch, aber mit Franziskus gewinnt sie weltweit neue moralische und politische Autorität." Als hochpolitischer und kirchlich engagierter Mensch erkennt Schavan in beiden Welten Ähnlichkeiten. Wie in der deutschen und europäischen Politik, so gebe es auch in der Kirche heftigen, notwendigen Streit angesichts großer Veränderungen - Franziskus' Kritiker sind hellwach.

Einer dieser Kritiker ist Kurienpräfekt und Dogmatiker Gerhard Ludwig Kardinal Müller. Er steht auf der von Zitronenbäumen begrenzten Rasenfläche von Schavans Residenz. Die Frau Botschafterin hat zum traditionellen Empfang anlässlich des 3. Oktober eingeladen. Ein beschwingt aufspielendes Jazz-Quartett unterhält 500 Gäste, darunter allein fünf von insgesamt elf weiblichen Botschafterinnen beim Völkerrechtssubjekt Heiliger Stuhl. Bevor das Büfett lockt, intonieren die Musiker die Nationalhymne. Müller singt laut mit.

Leiser, kritischer wird er, wenn zur Sprache kommt, was der vatikanische Präfekt für die Glaubenslehre für gefährliche Modernismen hält: etwa katholische Liberalitätsschübe bei Scheidung und Wiederverheiratung, Lockerungen des Ehe-Verständnisses. Schavan und Kardinal Müller gehören derselben Kirche an, aber sie navigieren auf unterschiedlichen Ozeanen. Schavan hofft auf ein neues kirchliches "Aggiornamento", ein Zugehen auf die sich verändernde Welt. Müller bremst.

Schavan ist jetzt Diplomatin, also von Amts wegen vorsichtig: "Wir müssen in der Kirche mit Franziskus die Gunst der Stunde für Reformschritte nutzen, bei großen Veränderungen suchen die Menschen nach einem Kompass und Quellen für Vertrauen." Ob sie je erleben werde, dass Frauen in der Papst-Kirche zu Weiheämtern zugelassen werden? Schavan lächelt verschmitzt: "Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht, aber spätestens seit dem Mauerfall wissen wir, dass auch völlig Unerwartetes eintreten kann."

Die Katholikin, die Glaube und Zweifel für zwei Seiten einer Medaille hält, fügt zum Weiheamt für Frauen hinzu: "Da ich selbst nie die Berufung zur Geistlichen gespürt habe, muss ich auch nicht enttäuscht sein." Auf die Frage, wie sich die Kirche kurieren lasse, antwortet unsere Frau im Vatikan: "Ich habe dazu in vielen Jahren genug gesagt."

Vom Garten ihrer Residenz zeigt sie zum Haus: "Da oben wohne ich." Morgens um neun lese sie zwar noch den Pressespiegel, "darauf reagieren muss ich nicht mehr, das ist auch wohltuend". Botschafter-Alltag ist vergleichsweise unaufgeregt; Schavan weiß, dass manche Spitzenpolitiker über die "Sektglas-Existenzen" lästern. Sie kontert: Mit einer Sektglas-Existenz haben die Botschafter-Posten wenig zu tun." Sie berichtet aus ihrem neuen, beschaulichen Leben: 3000 bis 4000 Gäste habe sie im ersten Diplomatenjahr empfangen. Als Diplomat(in) plaudert man, man liest, hält Vorträge, tauscht sich international aus, berichtet in die Heimat, man schätzt ein, man begleitet Kanzlerin, Minister, Ministerpräsidenten zu Privataudienzen beim Papst. Schavan setzt inhaltliche Schwerpunkte, etwa durch viele Vorträge zum Dialog der Religionen. Nur zu entscheiden gibt es wenig.

(mc)
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