Wolfsburg Unsere Leser zeigen ihren Lieblings-Golf

Wolfsburg · Am 29. März 1974 rollte der erste VW Golf aus der Fabrik. Es war der Beginn einer unglaublichen Erfolgsgeschichte. Dem Golf ist es nicht nur gelungen, den Käfer zu beerben, er hat auch einem ganzen Fahrzeugsegment seinen Namen aufgedrückt, der Golf-Klasse. Eine Würdigung.

Unter den Automobilen ist der VW Golf der Kumpeltyp. Einer für alle Gelegenheiten, praktisch, schick, sportlich. Bescheiden rollt er daher, unprätentiös, niemals anbiedernd, dabei technisch auf allerhöchstem Niveau. Ein Freund auf Lebenszeit. Einer, auf den Verlass ist, der sich optisch nicht jeder vergänglichen Mode hingibt, sondern auf innere Werte setzt. Alles Gründe, weshalb dieser Wagen seit mittlerweile 40 Jahren eine Klasse für sich ist und der Maßstab, an dem sich alle anderen messen müssen — in der nach ihm benannten Golf-Klasse selbstverständlich. So etwas nennt man ein Erfolgsmodell.

Dabei lastete auf dem Golf als Nachfolger des Käfer eine schwere Bürde. Würde es dem kleinen kantigen Kerl gelingen, den kurvigen Vorgänger zu beerben? Tatsächlich lag zwischen den beiden Modellen ein Quantensprung; Revolution statt Evolution hieß die Maxime bei Volkswagen. Der Konzern setzte auch deshalb alles auf die Golf-Karte, weil es wirtschaftlich bergab ging, sich die Verluste im Jahr 1974 auf mehr als 800 Millionen Mark beliefen und personell abgespeckt wurde. Als der erste, von Stardesigner Giorgio Giugiaro entworfene Golf am 29. März 1974 aus der Fabrik in Wolfsburg rollte, war denn auch, verglichen mit dem Dauerbrenner Käfer, fast alles anders — der Wagen war 40 Zentimeter kürzer, hatte Frontantrieb und ein untypisches Schrägheck. Gemein hatte der Golf mit dem Käfer, dass er von seinen Besitzern ebenso heiß geliebt wurde. Wolfsburg wurde Golfsburg.

Bei vielen Golf-Fahrern hält die Liebe bis heute an, und auch die Treue zum Modell, von dem es mittlerweile sieben Generationen gibt. Andere haben ihr Herz an den Golf I verloren. Jan-Hendrik Linnenkamp zum Beispiel, Vorsitzender der 1. Original Golf I Interessengemeinschaft in Bielefeld. Rund 200 Mitglieder hat die IG, und alle legen Wert darauf, ihren Golf so originalgetreu wie möglich instand zu halten. Linnenkamp selbst besitzt einen Golf von 1975. Was macht die besondere Faszination des Fahrzeugs aus? "Die Technik ist verständlich, der Wagen ehrlich, ohne Schnickschnack wie Servolenkung oder automatische Fensterheber", sagt der 43-Jährige. "Noch heute kann man mit dem Wagen problemlos im Verkehr mitschwimmen."

Und das mit gerade mal 50 PS. Ab 7995 Mark war der erste Golf 1974 zu haben, als Extra wurde beispielsweise ein "Stahlkurbeldach mit automatisch aufstellbarem Windabweiser" für 423 Mark geboten. Heute startet der Golf VII bei 17 175 Euro, nach oben ist, je nach Ausstattung, viel Luft. Aber die Ur-Golfs sind, gemessen am Alter, durchaus wertstabil. Laut Linnenkamp kostet ein gut erhaltener, 30 Jahre alter Golf heute zwischen 4000 und 5000 Euro, die noch beliebteren GTI-Versionen dieser Baureihe erzielen sogar Preise bis 30 000 Euro. "Diese Wagen sind eben ein Stück Technikgeschichte", sagt Linnenkamp. Der Golf, das Automobil der Begierde.

Was war und ist das Geheimnis seines Erfolgs? Volkswagen warb damals mit dem Slogan "Die Welt ist groß für dieses Auto, und wo sie eng ist, passt der Golf kompakt und wendig hinein". Aber das war es nicht alleine, zumal der Golf zwar auch in anderen Ländern reüssierte, aber weltweit niemals an Rang und Ruf des Käfer heranreichte. Vielmehr vereinte der Golf vieles von dem, was technisch gut und teuer war, in einem für die breite Masse erschwinglichen Fahrzeug. So ist es bis heute geblieben. Optisch ist der Golf ein Allerweltsmann, technisch ist er Avantgarde.

Hans-Dieter Gehlen kann das bestätigen. Der Duisburger ist mit seinem Golf I in 20 Jahren unglaubliche 1 150 000 Kilometer gefahren. Nur auf regelmäßige Ölwechsel und Inspektionen habe er geachtet, sagt Gehlen. "Sonst bin ich den Wagen einfach nur gefahren." Er läuft und läuft und läuft, der Käfer-Slogan, er stimmt also auch für den Golf. Heute steht Gehlens Auto in einem Museum in Österreich, und der 68-Jährige fährt wieder — einen Golf III. Mittlerweile jenseits der 600 000 Kilometer. Ein Marathon-Mann.

Bis heute ist daher der Golf das Modell, über das sich der Volkswagen-Konzern definiert. Obwohl er nur noch einen sinkenden Teil des Gesamtabsatzes ausmache, sagt Automobilwirtschaftsprofessor Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Renditetechnisch läuft angeblich der Tiguan besser. "Der Golf ist aber ein Symbolprodukt für die deutsche Automobilindustrie insgesamt", sagt Bratzel. Die Baureihe sei wegen ihrer Klassenlosigkeit ein Phänomen. "Von der Hausfrau bis zum Vorstand, alle fahren ihn, das ist ein ganz breites Spektrum", sagt Bratzel, dessen Institut regelmäßig Studien erstellt, die die Positionierung von Marken in Käuferschichten beleuchten. Beim Golf reiche die Interessentengruppe ungewöhnlicherweise quer durch alle Milieus. "Das halte ich für eine Riesenkunst", sagt Bratzel.

Der Golf als Kunstwerk, mehr Lob geht nicht. Etwas Wasser in den Wein hat nur Autor Florian Illies gegossen, dessen im Jahr 2000 erschienenes Buch "Generation Golf" das Bild eines politisch desinteressierten Wohlstandsbürgertums prägte, das sich nur dem Materialismus hingibt. Seither ist der Begriff Generation Golf negativ besetzt — dem Ruf des kleinen Kompakten geschadet hat es freilich nicht wirklich. Nichts hat ihm etwas anhaben können, weder die rostreichen Anfänge, seine biederen mittleren Jahre noch die starke Konkurrenz, die in seiner Klasse mittlerweile rund 30 Modelle aufbietet, um ihm das Wasser abzugraben. Der Golf bleibt die Referenz, der Klassenprimus. Und natürlich der beste Kumpel.

(RP)
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