NRW Unterrichtsausfall: Lehrer erbost über Schulpolitik

Düsseldorf · Ein Gutachten hält die vom Rechnungshof geforderte Kompletterfassung ausgefallener Stunden für zu aufwendig. Das stößt auf Unverständnis.

 Eine aktuelle Statistik dazu, wieviel Unterricht in NRW ausfällt, gibt es nicht.

Eine aktuelle Statistik dazu, wieviel Unterricht in NRW ausfällt, gibt es nicht.

Foto: dpa, Caroline Seidel

Um die Frage, wie viele planmäßige Schulstunden in NRW nicht erteilt werden, ist neuer Streit ausgebrochen. Der Grund: Seit 2011 legt das Land keine Statistik zum Unterrichtsausfall mehr vor, weil sich Ministerium und Landesrechnungshof nicht über die Methode der Erhebung einig sind. Der Rechnungshof dringt auf eine Kompletterhebung an allen Schulen.

Das von Sylvia Löhrmann (Grüne) geführte Schulministerium hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben und veröffentlicht. Es kommt zu dem Ergebnis, dass diese Methode jedes Jahr einen Aufwand verursacht, der 700 Lehrerstellen entspricht. Nur die Datenerhebung mittels einer Stichprobe sei praktikabel. Ein solches Verfahren weise allerdings "all die Datenungenauigkeiten auf, die der Landesrechnungshof zu Recht moniert hat".

Daran entzündet sich nun Kritik. "Es kann nicht sein, dass es technisch nicht machbar ist, eine Aussage über nicht erteilten Unterricht zu erhalten", sagte der Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Philologenverbands, Peter Silbernagel: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es neuen Unterrichtsausfall verursachen kann, den vorhandenen Unterrichtsausfall zu erfassen." Die Schulen müssten ohnehin immer mehr statistische Daten liefern: "Und das soll jetzt nicht möglich sein?" Eine belastbare Erfassung des Ausfalls sei ausgesprochen wichtig, betonte Silbernagel: "Das zu wissen, ist im Interesse der Eltern und der Lehrer, aber auch der Politik."

Der Rechnungshof hatte 2011 das Schulministerium kritisiert, weil es seinen Erhebungszeitraum mit zehn Schultagen zu knapp gewählt und sich "weitgehend auf eine Selbsteinschätzung der Schulen" verlassen habe. Auf diese Weise war das damals noch von der CDU-Politikerin Barbara Sommer geführte Schulministerium Ende 2009 zu der Aussage gekommen, in diesem Jahr seien in Nordrhein-Westfalen 2,3 Prozent des Unterrichts ersatzlos ausgefallen. Der Rechnungshof ermittelte dagegen eine Quote von 4,8 Prozent und stellte fest, dass Schulen mit einer kompletten eigenen Statistik den wenigsten Ausfall zu verzeichnen hatten. Die Forderung, eine solche Statistik an allen Schulen des Landes einzuführen, hat die Behörde seither mehrmals wiederholt. Reaktion darauf war das nun vorgelegte Gutachten der Bildungsforscher Gabriele Bellenberg (Ruhr-Universität Bochum) und Christian Reintjes (Fachhochschule Nordwestschweiz).

Die Erstellung des Gutachtens, so Ministerin Löhrmann, sei eine Forderung des Parlaments an das Schulministerium gewesen. Damit sollte ein Weg gezeigt werden, wie eine realistische Darstellung erhoben werden könne, die zum einen mit vertretbarem Aufwand erfolge, zum anderen aber auch nicht zu weiterem Unterrichtsausfall führen dürfe.

Kritik an diesem Gutachten übte auch die Landeselternschaft der Gymnasien. Die Ansicht sei "wenig nachvollziehbar", dass eine detaillierte Erfassung des ausgefallenen Unterrichts zu aufwendig sei, sagte der Vorsitzende Ralf Leisner: "Es wäre jedem geholfen, wenn wir wüssten, in welchem Umfang genau Unterricht ausfällt, damit nachgebessert werden kann." An den Schulen fehlten vielfach Verwaltungsassistenten und Sekretariatskräfte, die bei der Erhebung wertvolle Hilfe leisten könnten. Leisner fügte hinzu: "Die Frage ist natürlich, ob seitens des Ministeriums überhaupt Interesse besteht, die Faktenlage genau zu kennen."

Löhrmann wolle sich "vor einem der wichtigsten Themen der Schulpolitik drücken", kritisierte Petra Vogt, schulpolitische Sprecherin der CDU im Landtag: "Qualität im Unterricht kann es nur geben, wenn er auch stattfindet — und selbstverständlich fachgerecht." Wer nicht prüfe, könne auch nicht korrigierend eingreifen. Das sei fahrlässig.

Dagegen begrüßte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die grundsätzliche Stoßrichtung des Gutachtens: Eine bessere Erfassung führe nicht zu mehr Unterricht, erklärte die Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. Die Ursachen für das Problem seien schließlich klar: "Effektiv lässt sich Unterrichtsausfall nur mit ausreichend Personal vermeiden. Deshalb benötigen wir eine Vertretungsreserve und mehr Mittel für die Kompensation von krankheitsbedingten und anderen Ausfällen."

Der Unterrichtsausfall sollte eigentlich gestern Thema im Schulausschuss des Landtags sein; die Parlamentarier einigten sich jedoch, die Debatte zu verschieben und die Wissenschaftler des Gutachtens selbst einzuladen. Es sei jetzt Sache der Politik, das Gutachten intensiv zu prüfen, sagte Löhrmann.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort