Besuch in Afghanistan Das Krisenjahr der Ursula von der Leyen

Masar-I-Sharif · Die Verteidigungsministerin besucht Afghanistan, das letzte Mal während des 13-jährigen Kampfeinsatzes. Eigentlich will sie mit den Soldaten Weihnachten feiern. Doch dann erreicht sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters Ernst Albrecht.

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Das ist Ursula von der Leyen

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Foto: AP/Efrem Lukatsky

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betritt im Camp Marmal in Masar-i-Sharif die Bühne, vor der sich rund 250 Soldaten zur Weihnachtsfeier versammelt haben. Es ist guter Brauch, dass der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt kurz vor Weihnachten die Truppe in Afghanistan besucht. Und doch ist in diesem Jahr alles anders. Die Bundeswehr in Afghanistan ist im Umbruch. Deutschland wird in "die zweite Reihe zurücktreten", wie es von der Leyen formuliert. Bis zum 15. Dezember soll die Zahl der Soldaten auf 850 reduziert werden. Sie sollen die Afghanen nur noch unterstützen. Die Verteidigungsministerin dankt den Soldaten für 13 Jahre Arbeit in Afghanistan und erinnert an die 55 Toten. Sie sagt auch, dass den Soldaten in Deutschland mit "Respekt und Stolz" begegnet werde.

Diesen Worten sollte eigentlich ein netter Abend auf dem Weihnachtsmarkt folgen. Doch dann bricht von der Leyens Stimme und sie erklärt: "Ich muss Ihnen etwas sagen, was mir sehr schwerfällt. Ich habe vor einer Stunde erfahren, dass mein Vater gestorben ist." Ernst Albrecht habe ein erfülltes Leben gehabt und sei friedlich gestorben. Sie bittet um Verständnis, den heiteren Abend ausfallen zu lassen. Es bleibt die einzige Änderung im Programm.

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Zu ihrem Vater hatte von der Leyen ein besonderes Verhältnis. Er nannte sie "Röschen". Wer den früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten kannte, staunt über die Ähnlichkeit von Tochter und Vater. Es gibt viele Anekdoten, die ihre besondere Beziehung beschreiben - zum Beispiel die, dass sie als Kind bei ihrem Vater unter dem Schreibtisch saß, wenn er wichtige Gesprächspartner empfing. Als er an Alzheimer erkrankte, zog sie mit der ganzen Familie zu ihm, um seine Pflege zu organisieren.

Von der Leyen ist für ihre eiserne Disziplin bekannt. Am nächsten Tag fliegt sie nach Kabul, wo es derzeit eine heftige Anschlagserie gibt. In der vergangenen Woche kam bei einem Selbstmordattentat in der französischen Schule ein deutscher Entwicklungshelfer ums Leben. Nach einem Gespräch mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani sichert sie dem Land ökonomisch, organisatorisch und militärisch weiter Unterstützung zu. Ob die verbleibenden Truppen tatsächlich 2016 abziehen sollen, wie es US-Präsident Barack Obama angekündigt hat, hält die Ministerin offen. Das Land solle in einer Situation verlassen werden, in dem es die Stärke habe, "in der es sich selbst behaupten kann", sagt sie.

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Der Besuch am dritten Advent war von der Leyens dritte Reise an den Hindukusch. Vor einem Jahr, nur wenige Tage nach ihrer Vereidigung als Ministerin, setzte sie sich mit einer 40-köpfigen Gruppe von Journalisten ins Flugzeug und besuchte die Truppe erstmals. Ihre Rolle als Verteidigungsministerin musste sie im Laufe des Jahres erst finden. Anders als in den Ressorts Familie und Arbeit, in denen sie vorher den Chefsessel innehatte, fehlte ihr der Bezug zu den Themen. Dennoch zögerte sie keinen Augenblick, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihr den Schleudersitz im Kabinett anbot.

Wie sehr sie aber immer noch an ihrem Lieblingsthema, dem Aufstieg von Frauen, hängt, zeigt sich in Masar-i-Sharif. Am ersten Tag ihrer Reise führt sie ein Gespräch mit zehn Studentinnen der Rechtswissenschaft, dessen Zeitrahmen die sonst so disziplinierte Ministerin locker um 45 Minuten überzieht. Danach sieht man sie das einzige Mal auf dieser Reise strahlen. Von der Leyen lässt sich fotografieren und verabschiedet die jungen Frauen herzlich. Kurz danach erhält sie die Nachricht vom Tod ihres Vaters.

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Foto: dpa, os bjw

Doch schon vor der traurigen Nachricht war in Afghanistan eine sehr erschöpfte und nachdenkliche Ministerin gelandet. Über das erste Jahr im Amt sagt sie selbst, es sei das "härteste" ihres Lebens gewesen. Auf dem Hinflug war sie eigentlich schon zu müde für das Gespräch mit den Journalisten, zeigte sich dann aber doch bereit - und wie immer hochkonzentriert. Von der Leyen ließ die Themen, die sie selbst setzte und jene, die ihr im Kriegs- und Krisenjahr 2014 auferlegt wurden, Revue passieren: Dazu zählen das skandalträchtige Rüstungswesen der Bundeswehr sowie die von ihr selbst aufgebrachte Vereinbarkeit von Truppe und Familie. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Januar forderte sie genau wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Bundespräsident Joachim Gauck mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt.

Doch nicht immer zeigte sich von der Leyen bei ihren verteidigungspolitischen Vorstößen sattelfest, der Koalitionspartner SPD kritisierte die 56-Jährige mitunter scharf. Trotz des schwierigen Starts und der vielen Krisen und Kritteleien hatte von der Leyen am Ende Glück im ersten Jahr ihrer Amtszeit: Sie hatte keinen toten deutschen Soldaten zu beklagen.

(qua)
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