Washington/Bagdad USA erwägen Bodentruppen in Syrien

Washington/Bagdad · Die Vereinigten Staaten stehen vor einem Kurswechsel im Syrien-Konflikt: Die Regierung schließt bewaffnete Bodentruppen und eine Beteiligung des Irans an Krisengesprächen nicht mehr aus.

Neue Töne aus Washington. Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) werde man nicht davor zurückschrecken, Verbündete bei Attacken gegen den IS zu unterstützen oder solche Einsätze selbst auszuführen, "ob durch Angriffe aus der Luft oder direkte Handlungen am Boden", verkündete US-Verteidigungsminister Ashton Carter gestern im Senat. Doch es gab noch eine zweite Überraschung: "Wir gehen davon aus, dass der Iran zum bevorstehenden Treffen in Wien eingeladen wird", sagte ein Sprecher des State Department.

Deutlicher kann ein Kurswechsel in der amerikanischen Außenpolitik nicht erklärt werden. Fast genau vier Jahre, nachdem am 18. Dezember 2011 der letzte amerikanische Soldat symbolisch das Tor zum Irak in Richtung Kuwait geschlossen hatte, kehren die GI's zurück an Euphrat und Tigris. Und der langjährige Erzfeind Iran wird künftig mit am Verhandlungstisch sitzen, wenn es um die Zukunft Syriens geht.

Auch Frankreich hat eine Beteiligung des Irans an den Verhandlungen begrüßt. "Frankreich ist dafür, den Iran einzuladen", sagte Regierungssprecher Stéphane Le Foll in Paris. "Frankreich setzt sich dafür ein, dass alle Parteien vertreten sind." Außenminister Laurent Fabius kündigte seine Teilnahme an den für morgen geplanten Gesprächen in Wien an.

Noch vor wenigen Wochen wäre all das undenkbar gewesen. Stets hatte US-Präsident Barack Obama betont, keine Bodentruppen mehr in den Irak schicken zu wollen. Seine Mission bei Amtsantritt war es, das militärische Engagement dort ein für alle Mal zu beenden. Schon die Entscheidung im August vergangenen Jahres, eine Allianz gegen den IS zu gründen und Luftschläge gegen die Terrormiliz sowohl im Irak als auch in Syrien zu fliegen, war für Obama ein schwieriges Unterfangen. Was den Iran betrifft, so galt Teheran neben Russland als einer der engsten Verbündeten des syrischen Präsidenten Baschar al Assad, den die USA wiederum zum Abtritt zwingen wollen. In der Folge wurde die Teilnahme der Islamischen Republik an den Krisengesprächen rigoros ausgeschlossen. Nun also die Kehrtwende. Ob allerdings die Vertreter Teherans schon morgen in Wien dabei sein werden, ist noch nicht sicher. Es könnte zu kurzfristig sein. Doch der Einsatz von Bodentruppen, zumindest im Irak, ist schon vorbereitet.

Amerikanische Truppenverbände sind seit Mitte September in großer Zahl in Iraks größter Provinz Anbar zu beobachten. Ein Offizier der 7. Division der irakischen Armee berichtet von "riesigen Flugzeugbewegungen" auf der Militärbasis in Habbaniya, nur wenige Kilometer westlich der Hauptstadt Bagdad. Damit würden militärische Ausrüstung und Soldaten herangeschafft. "Was ich in den letzten Tagen gesehen habe, ist unglaublich", sagte ein weiterer Augenzeuge in Habbaniya dem irakischen Online-Portal "Oil Report". Unzählige gepanzerte Militärfahrzeuge und "Abrams"-Panzer seien ebenso auf der Basis angekommen wie "Apache"-Kampfhubschrauber. Von dort aus werde ein Teil weitertransportiert in den Westen Falludschas und den Osten Ramadis.

Offensichtlich beabsichtigen die Amerikaner, direkt in die Militäroperation zur Rückeroberung der Provinz Anbar und deren Hauptstadt Ramadi einzugreifen. Ramadi wurde Anfang Mai vom IS erobert. Seitdem kontrolliert die Terrormiliz nahezu die gesamte Provinz und baute sie inzwischen zu ihrer Hochburg aus. Einzig die Stadt Abu Ghraib, acht Kilometer vor den Toren Bagdads, ist noch in der Hand der Regierungstruppen. Falludscha, 30 Kilometer entfernt, wurde als erste Stadt bereits im Januar 2014 von den Dschihadisten besetzt.

Es werde nur wenige Tage dauern, bis Ramadi zurückerobert sei, sagte Iraks Premierminister Haidar al Abadi Ende Mai und gab den Befehl zur Militäroffensive. Doch diese blieb stecken. Die schiitischen Milizen, die in Tikrit einen Monat zuvor erfolgreich waren, konnten in der Sunnitenprovinz Anbar bisher keinen Boden gutmachen.

Die irakische Armee ist dezimiert. Viele Soldaten haben das Weite gesucht, wie schon ein Jahr zuvor, als der IS in einer Blitzaktion die zweitgrößte Stadt Mossul und Saddam Husseins Heimatstadt Tikrit im Norden des Landes überrannte. Die Amerikaner wollten sich nicht in Anbar engagieren und flogen nur halbherzig einige Angriffe auf Ramadi und Falludscha. Ihre Hauptverbündeten sind die kurdischen Peschmerga. Mit ihnen zusammen befreiten US-Soldaten vergangene Woche 70 Geiseln aus IS-Haft. Die Aktion in Hauwija, unweit der Ölstadt Kirkuk, war die erste Operation von US-Soldaten auf irakischem Territorium seit ihrem Abzug.

(RP)
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