Washington USA: Verdächtiger nach Massaker gefasst

Washington · Für das Attentat mit neun Toten in einer Kirche in Charleston ist vermutlich der 21-jährige Dylann Roof verantwortlich.

Washington: USA: Verdächtiger nach Massaker gefasst
Foto: ap

Er gab sich den Anschein, als wolle er beten und lernen. Auf den Bildern der Überwachungskameras ist auf die Sekunde genau vermerkt, wann der junge Mann mit der Pilzkopffrisur, wie sie die Beatles einst trugen, die Kirche betrat. Am Mittwochabend um 20 Uhr, 16 Minuten und 58 Sekunden. Knapp eine Stunde später ging bei der Polizei der erste Notruf ein: Schüsse in der Emanuel-Kirche!

Der Tatverdächtige muss also, bevor er das Feuer eröffnete, fast eine Stunde lang am Bibelstudium teilgenommen haben, das an dem Abend auf dem Programm stand. So teilt es der Polizeichef der Stadt Charleston am nächsten Morgen der Presse mit. Geflohen in einem Hyundai, wird er kurz darauf bei einer Verkehrskontrolle in North Carolina gestoppt, vom FBI identifiziert und festgenommen. Es handelt sich beim dem Todesschützen wohl um Dylann Storm Roof, 21 Jahre alt, wohnhaft in Columbia, der Hauptstadt South Carolinas. Nach Angaben eines Onkels, der seinen Neffen auf dem Fahndungsfoto erkannt hatte, bekam er zum Geburtstag im April von seinem Vater eine Pistole geschenkt.

Eines der neun Opfer ist Clementa Pinckney, der Pfarrer der Kirche an der Calhoun Street, die mitten in der Altstadt mit ihrer Kolonialarchitektur liegt. Pinckney war zugleich Senator; er saß für die Demokraten im Bundesstaatensenat. Roof, zitiert der Fernsehkanal NBC News eine Augenzeugin, soll sich direkt neben den Pastor gesetzt haben. "Ich muss es tun", soll er gesagt haben, als er seine Waffe zog. "Ihr vergewaltigt unsere Frauen und reißt euch dieses Land unter den Nagel. Ihr müsst verschwinden."

Vor zwei Monaten, als tödliche Polizistenschüsse auf einen unbewaffnet Fliehenden für Aufruhr sorgten, spielte der Reverend eine zentrale Rolle: In North Charleston, einer Zwillingsstadt der historischen Hafenmetropole, hatte ein weißer Polizist namens Michael Slager den 50-jährigen Afroamerikaner Walter Scott gestoppt wegen eines kaputten Autorücklichts, mit gezielten Schüssen in den Rücken getötet. Nach Scotts Tod setzte sich Pinckney an die Spitze einer Kampagne, die Polizisten verpflichten wollte, jederzeit Kameras am Körper zu tragen, damit lückenlos aufgezeichnet werden kann, was sie im Dienst tun. Der Einsatz trug Früchte: Seit einer Woche sind "Body Cameras" für die Polizeibeamten South Carolinas gesetzliche Pflicht. Man darf annehmen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Pinckneys politischer Prominenz und dem Blutbad in seiner Kirche.

Nach den Worten Joseph Rileys, des Bürgermeisters von Charleston, handelt es sich zweifellos um ein Hassverbrechen, "hate crime". Es ist der amerikanische Sammelbegriff für Straftaten, die aus Rassendünkel, aus Antisemitismus, aus Überlegenheitswahn jeglicher Art begangen werden. In eine Kirche zu laufen und Menschen beim Gebet zu erschießen, "ist das hinterhältigste Verbrechen, das man sich vorstellen kann", sagt Riley. Ungewöhnlich für einen Südstaaten-Mayor klingt die Kritik an den lockeren Waffengesetzen, die der Veteran, seit 40 Jahren im Amt, folgen lässt. Er persönlich glaube, "dass es da draußen viel zu viele Kanonen gibt", und dass es viel zu leicht sei, an sie heranzukommen.

Fest steht wohl, dass sich der mutmaßliche Täter Dylann Roof die Emanuel African Methodist Episcopal Church nicht zufällig ausgesucht hat. Sie ist mehr als ein Gotteshaus, sie ist ein Symbol, aufs Engste mit der Bürgerrechtsbewegung schwarzer Amerikaner verbunden. Ihr erster Pfarrer, Morris Brown, war so frustriert angesichts der Rassendiskriminierung in den Kirchen der stolzen Hafenstadt Charleston, dass er beschloss, seine eigene zu gründen. 1816 war das.

Kurz darauf plante Denmark Vesey, ein freigelassener Sklave, in geheimen Absprachen mit anderen Gemeindemitgliedern einen bewaffneten Aufstand gegen weiße Plantagenbesitzer. Die Revolte sollte am 16. Juni 1822 beginnen, fast auf den Tag genau vor 193 Jahren, allerdings wurden die Verschwörer kurz vorher verraten und hingerichtet. 1962 sprach der legendäre Martin Luther King in der Emanuel Church.

Freiheit, das sei alles, worum es in diesem Haus gehe, skizzierte Pinckney einmal in einer Predigt, worin er seine Aufgabe als Pastor verstehe.

(RP)
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