Berlin Verdacht: Berliner LKA vereitelte Amri-Festnahme

Berlin · Der Berliner Senat hat Strafanzeige gegen Mitarbeiter des eigenen Landeskriminalamts gestellt. Sie sollen entscheidende Hinweise auf den späteren Attentäter ignoriert oder sogar zurückgehalten haben.

Der Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri hätte nach neuen Erkenntnissen möglicherweise vor dem Anschlag festgenommen werden können. Entscheidende Ermittlungsergebnisse sind jedoch im Berliner Landeskriminalamt (LKA) wohl zurückgehalten und sogar manipuliert worden. Die Landesregierung hat deswegen Strafanzeige gegen LKA-Mitarbeiter gestellt - wegen Strafvereitelung im Amt und "Falschbeurkundung", wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) mitteilte.

Nach seinen Angaben tauchte bei der Arbeit von Sonderermittler Bruno Jost ein neues Dokument zu einer Telekommunikations-Überwachung auf. In der Auswertung vom 1. November werde Amri vorgeworfen, gewerbsmäßigen, bandenmäßigen Drogenhandel betrieben zu haben. Möglicherweise habe man die Hinweise daraus damals nicht für relevant gehalten und nicht weiter verfolgt, weil der Drogenhandel keinen islamistischen Hintergrund hatte, sagte Geisel. Im Nachgang sei der Vermerk dann vielleicht verändert und zurückdatiert worden, um das zu verschleiern. Dabei handele es sich aber noch um Spekulation.

Bislang waren die Ermittler davon ausgegangen, dass Amri nur mit kleinsten Mengen Drogen gehandelt habe, was nicht für eine Festnahme ausgereicht hätte. Die Formulierung vom Kleinsthandel hatte offenkundig nachträglich einen Weg in die Akten gefunden - um die Taten zu verharmlosen. "Auf der Grundlage des Straftatbestands gewerbsmäßiger, bandenmäßiger Handel mit Betäubungsmitteln wäre eine Verhaftung wohl möglich gewesen", so Geisel. So hätte der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt wohl verhindert werden können.

Geprüft werde nun, ob das Dokument im Landeskriminalamt möglicherweise vorsätzlich zurückgehalten wurde, erklärte Geisel. Es seien bereits disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen mehrere Mitarbeiter eingeleitet worden. "Sollte innerhalb des LKA irgendetwas verschleiert worden sein, werden wir das aufklären und die notwendigen Konsequenzen ziehen", versprach Geisel.

Der Tunesier Amri war am 19. Dezember mit einem gekaperten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Er tötete zwölf Menschen, weitere 67 wurden verletzt. Wenige Tage später wurde Amri in Italien von der Polizei erschossen.

Amri war 2015 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen; in NRW war er unter anderem in Emmerich und Dinslaken untergebracht. Bereits kurz nach dem Anschlag hatte seine Biografie die Frage aufgeworfen, welche Fehler die Sicherheits- und Ausländerbehörden in NRW und Berlin bei seiner Einschätzung gemacht hatten. Amri war nämlich schon länger als sogenannter islamistischer Gefährder bekannt gewesen und sogar zeitweise überwacht worden. So hatte ihn das LKA NRW bis zum Schluss als gefährlich eingestuft. Es hatte im Februar 2016 beim Generalbundesanwalt angeregt, gegen den bereits als islamistischen Gefährder eingestuften Tunesier ein Verfahren wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat einzuleiten. Die mit der Verfahrenführung beauftragte Generalstaatsanwaltschaft Berlin hatte sich dem aber nicht angeschlossen. Zudem hatte das Ausländeramt Kleve, das für Amri zuständig war, eine Abschiebehaft für aussichtslos gehalten.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele erklärte, seine Fraktion verlange nun einen Untersuchungsausschuss: "Die neuen Erkenntnisse bestätigen, dass die Sicherheitsbehörden der Länder NRW und Berlin und des Bundes sträflich versagt und dann zu vertuschen versucht haben."

In Düsseldorf kommt heute der Amri-Untersuchungsausschuss des Landtags zum letzten Mal in dieser Wahlperiode zusammen. In der 19. Sitzung des Gremiums werden die vorerst letzten vier Zeugen befragt. Die Aufklärungsarbeit soll aber voraussichtlich vom neuen Parlament fortgesetzt werden.

(RP)
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