Berlin Verfassungsgericht kann ESM stoppen

Berlin · Es ist nur ein Artikel, ein Absatz, doch nach Meinung renommierter Verfassungsjuristen in diesem Land ist er der Sargnagel für die deutsche Parlamentsdemokratie. Artikel 136, Absatz 3 des veränderten EU-Vertrags erlaubt den Mitgliedsstaaten die Einrichtung des gestern vom Bundestag beschlossenen dauerhaften "Europäischen Stabilitätsmechanismus", kurz: ESM. In einem separaten Vertrag zwischen den EU-Staaten wurde der ESM schließlich noch detailliert erläutert und separat beschlossen. Der europäische Rettungsfonds mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro soll überschuldeten Mitgliedsstaaten Hilfen und Notkredite gewähren. Deutschland haftet in dem Fonds mit einem Betrag von rund 190 Milliarden Euro.

Gestern Abend billigte der Bundestag den ESM-Vertrag mit großer Mehrheit; danach sollten beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mehrere Klagen gegen den Rettungsschirm eingehen. Mit dem ESM werde die Europäische Union zu einer Haftungs- und Transferunion umgebaut und der Bundestag grundgesetzwidrig übergangen, argumentieren die Kläger, darunter mehrere Staatsrechtler, der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler und die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD).

Die Chancen, dass Karlsruhe den ESM-Vertrag kippt, sind klein, aber durchaus vorhanden. Das Parlament dürfe nicht in eine "bloß nachvollziehende Rolle" geraten, hatte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, jüngst gemahnt. Die Karlsruher Richter baten Bundespräsident Joachim Gauck, das Gesetz vorerst nicht zu unterschreiben.

Die Kläger wollen nun sogar erreichen, dass die Verfassungsrichter eine einstweilige Anordnung gegen den ESM beschließen. Per Eilentscheid könnte das Bundesverfassungsgericht die Ratifizierung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren hinauszögern. Ob es so kommt, dürfte Karlsruhe bereits kommende Woche entscheiden.

Mit dem ESM werde der bisherige europäische Mechanismus beseitigt, der die nationalen Parlamente vor dem überwältigenden internationalen Druck schütze, den Zugriff auf die nationale Haushaltskasse zu erlauben, kritisiert der Freiburger Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek: "Die als Stabilitätsunion konzipierte Wirtschafts- und Währungsunion wird in eine Haftungs- und Transferunion umstrukturiert." Von einem "unüberschaubaren und unumkehrbaren Haftungsautomatismus" spricht Peter Danckert, Jurist und SPD-Abgeordneter. "Die Bundestagsabgeordneten werden erst unterrichtet, wenn alles entschieden ist", kritisiert Danckert, der angekündigt hat, im Bundestag gegen den ESM zu stimmen.

(RP)
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