Edmonton Verschollene Schiffe sollen Arktis-Streit klären

Edmonton · 1845 verschwanden die Schiffe der Franklin-Expedition im Eismeer. Kanada sucht die Wracks, um Hoheitsansprüche zu untermauern.

Das letzte Lebenszeichen von Sir John Franklin gab es am 26. Juli 1845. Ein paar Walfänger sichteten den Kapitän und seine zwei Expeditionsschiffe "Erebus" und "Terror" vor der Küste von Grönland. Danach verschwand Franklin im Polarmeer, und außer seiner Crew bekam ihn kein Weißer je wieder zu sehen. Seitdem gelten Franklin, seine 129 Mann Besatzung und die Schiffe als verschollen. Es ist eine der größten Tragödien der Expeditionsschifffahrt.

Franklin sollte im Auftrag der britischen Königin Victoria die legendäre Nordwestpassage finden, jene Wasserstraße in der Arktis, die auf rund 6000 Kilometern den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Der Kommandant hatte die doppelwandigen Segelschiffe mit mächtigen Dampfturbinen ausstatten lassen, hatte Proviant für drei Jahre dabei und die besten Seeleute des Empire. Doch in jenem Sommer verlor sich seine Spur auf immer im Eis.

Mehr als 160 Jahre später lässt die kanadische Regierung jetzt mit noch nie dagewesenem Aufwand nach den Wracks der Franklin-Expedition suchen — der Klimawandel und das schmelzende Eis machen es möglich. Intensiv suchen Unterwasserarchäologen den arktischen Meeresboden ab. Die Kanadier treibt historische Neugier, aber nicht nur. Die Schiffe waren und sind Schiffe Ihrer Majestät, der Königin von England, zugleich auch Staatsoberhaupt von Kanada. Werden sie gefunden, untermauerte das die Ansprüche Kanadas auf die Arktis. In einem Vertrag haben beide Länder vereinbart, dass die Wracks in den Besitz Kanadas übergehen.

Internationaler Wettlauf

"Noch nie waren die Chancen so gut, die Schiffe der Franklin-Expedition zu finden", erklärt die kanadische Umweltministerin Leona Aglukkaq und macht auch kein Geheimnis aus ihren politischen Motiven: Bei der Aktion gehe es unter anderem um die Sicherheit der nordischen Seefahrt, den Umweltschutz — vor allem aber auch um Souveränität in der Arktis.

Seit das polare Meereis immer schneller schmilzt, ist um die Arktis ein internationaler Wettlauf ausgebrochen. Mehrere Nationen rivalisieren um das Polargebiet, darunter die Anrainer Kanada, Russland, die USA, Norwegen und Grönland. Klimaforscher schätzen, dass die Arktis schon in 25 bis 40 Jahren komplett eisfrei sein könnte, und das weckt Begehrlichkeiten.

Nach Schätzungen des United States Geological Survey lagern nördlich des Polarkreises bis zu 30 Prozent der bislang unentdeckten Gas- und 13 Prozent der unentdeckten Erdöl-Vorkommen der Welt, dazu Rohstoffe und Edelmetalle wie Kupfer, Gold oder Diamanten sowie reiche Fischgründe. Die Öffnung der Nordwestpassage ist auch für Reeder attraktiv. Sie verkürzt den Seeweg zwischen Rotterdam und Tokio um 5000 Kilometer. Im vergangenen Herbst befuhr erstmals ein großer Frachter, die "Nordic Orion" aus Dänemark, die Passage.

Symbolisches Hissen der Nationalflagge

Kanada betrachtet die Nordwestpassage als nationales Gewässer, die USA und viele andere Nationen dagegen als eine internationale Schifffahrtsroute. Die Amerikaner unterqueren die Passage regelmäßig mit ihren Atom-U-Booten, ohne Kanada zu fragen. Und Russland hat 2007 auf dem Meeresboden unter dem Nordpol symbolisch die Nationalflagge hissen lassen, um seinen Anspruch deutlich zu machen.

Den Kanadiern ist daher jedes Wrackteil willkommen, mit dem sich womöglich Ansprüche sichern lassen. "Franklins Tragödie in der Arktis und die Suchexpeditionen nach ihm sind ein völkerrechtlicher Grund, warum Kanada Anspruch auf die Arktis erheben kann", erklärt John Geiger von der Canadian Geographic Society, die in diesem Jahr an der Seite der kanadischen Nationalparkbehörde an der Suche teilnimmt. Mehr als 20 Crews aus dem In- und Ausland haben in den letzten Jahrzehnten bereits nach den Schiffen gefahndet. Für die kanadische Regierung ist es der sechste Versuch in sieben Jahren, und noch nie war der Aufwand so groß.

Mit dabei in diesem Jahr sind der Eisbrecher "Sir Wilfried Laurier", das Forschungsschiff "Martin Bergmann" und das Kreuzfahrtschiff "One Ocean Vogayer". Erstmals nimmt auch die kanadische Marine teil und sendet das Patrouillenboot "HMCS Kingston". Gesponsort wird die Expedition von der Regierung, die dafür mehr als 250.000 Dollar ausgibt. Aufgestockt wird das Budget von Wirtschaftsvertretern wie dem Gründer des Blackberry-Konzerns, Jim Balsillie. Auch der Erdölkonzern Shell beteiligt sich.

Eine der unwirtlichsten Regionen der Welt

An Bord der Schiffe befinden sich Unterwasserkameras, Sonar, Echolote, Satellitenempfänger und Messboote. Unbemannte U-Boote sollen das Meer wie ein Rasenmäher "abgrasen". Aus den Signalen wollen die Forscher Unterwasser-Karten erstellen, denn noch immer sind große Teile des Polarmeeres nicht kartographiert. Diese Daten sollen die Hoheit Kanadas über die Arktis untermauern, selbst wenn die Schiffe der Franklin-Expedition nicht gefunden werden.

Bei ihrer Suche konzentrieren sich die Kanadier auf ein Gebiet in der Victoria-Straße vor der Westküste der King-William-Insel, die etwa 2000 Kilometer südlich des Nordpols liegt. Die Gegend unweit der Siedlung Gjoa Haven gilt bis heute als eine der unwirtlichsten Regionen der Welt. Selbst im arktischen Sommer im August und September türmt sich hier auf Grund der besonderen Strömungsverhältnisse das arktische Eis meterhoch.

Die Forscher wollen eine Fläche von 1200 Quadratkilometern absuchen, so viel wie bei allen vorherigen Expeditionen zusammen. "Ich glaube, dass wir gute Chancen haben, zumindest eines der Schiffe zu finden", ist Geiger überzeugt. Anhaltspunkte bieten Überlieferungen der Inuit-Ureinwohner und eine handschriftliche Aufzeichnung der Franklin-Crew, die in einer Steinpyramide auf der King-William-Insel gefunden wurde.

Aus der Notiz lässt sich schließen, dass Franklins Schiffe im Herbst 1846 unweit der Nordspitze der Insel im Treibeis stecken geblieben waren und ihre Fahrt danach nicht fortsetzen konnten. Der Kapitän hatte noch einen arktischen Winter an Bord der "Erebus" ausgeharrt, bis er schließlich im Juni 1847 an Kälte, Skorbut und einer Bleivergiftung starb. Sein Grab wurde nie gefunden. Der Rest der Besatzung kam ein Jahr später beim Versuch um, sich zu Fuß zu retten. Was danach mit den Schiffen passierte, ist bis heute ein Rätsel. Manche Forscher glauben, dass zumindest eines später an Ort und Stelle sank. Auf diese Theorie konzentriert sich die Mission. Falls sie stimmt, sind die Chancen groß, dass die Artefakte gut erhalten sind — konserviert im eisigen Wasser der Arktis.

(RP)
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