Mahmut Özdemir und Johannes Steiniger Verspielen die Alten die Rente der Jungen?

Mit 26 Jahren sind Johannes Steiniger (CDU) und Mahmut Özdemir (SPD) die jüngsten Abgeordneten im Bundestag. Im Interview diskutieren sie über die Rentenpolitik der großen Koalition, Armutszuwanderung und die Frage nach der Generationengerechtigkeit.

Mahmut Özdemir und Johannes Steiniger: Verspielen die Alten die Rente der Jungen?
Foto: dpa, Oliver Berg

Haben Sie ein politisches Idol, das Sie früher an der Wand hängen hatten?

Steiniger (lacht) Nein. Ich hatte früher Bilder von Fußballspielern an meiner Wand hängen.

Özdemir Ich hatte auch viele Autogrammkarten von Fußballern und Panini-Alben. Aber natürlich gibt es Vorbilder, die ich für ihre Integrität und Geradlinigkeit bewundere. Bei mir ist das Franz Müntefering oder auch Gerhard Schröder. Sie sind zwar beide in der SPD nicht unumstritten, aber sie haben zu ihrer aktiven Zeit auf die damaligen gesellschaftlichen Fragen die Antworten gefunden.

Ist Ihnen neben der Politik ein Berufsabschluss wichtig?

Özdemir Ja klar. Johannes und ich haben ja beide das erste Staatsexamen und könnten später in unsere Berufe zurückgehen — er als Lehrer, ich als Jurist. Mit dieser Sicherheit macht die Arbeit hier umso mehr Freude. Es ist schön, sagen zu können: Ich mache jetzt was anderes.

Steiniger Es ist nicht nur schön, es ist auch wichtig. Es gibt einem auch die Freiheit, sich nicht in jeder Frage der Fraktionsdisziplin anpassen zu müssen.

Zur Fraktionsdisziplin: Die Rentenreform belastet die junge Generation. Was sagen Sie später Ihren Kindern, wenn die fragen: Papa, warum hast du damals zugestimmt?

Özdemir Dann werde ich meinen Kindern sagen, dass die Arbeitswelt damals eine andere war. Bei der Rente ab 63 geht es um die arbeitende Generation heute. Die Frage ist, ob man dem Stahlarbeiter im Hochofen zumuten kann, bis 67 Jahre zu arbeiten? 40 Jahre lang Schichtbetrieb. Dass so etwas am eigenen Körper nicht spurlos vorbeigeht, ist klar.

Wie beantworten Sie die Papa-Frage, Herr Steiniger?

Steiniger Ich habe, ehrlich gesagt, etwas mehr Bauchweh bei der Geschichte. Solidarität ja, aber die Rente mit 63 sehe ich mit Sorge. Ich finde es schwierig, weil wir so tun, als stünden uns die nächsten Jahre Wirtschaftswunder bevor. Eine solche Annahme ist als Grundlage für Politik nicht die beste Voraussetzung.

Verspielen die Älteren im Bundestag gerade die Zukunft der Jüngeren?

Steiniger Das ist mir zu viel Überschrift. Zur Ehrlichkeit gehört ja auch dazu, dass unsere Generation weiß, dass sie später mehr erben wird als die Generationen vorher.

Özdemir Für mich geht es auch um die Frage der sozialen Sicherheit einer Gesellschaft. Wir können von unseren Alten wie Jungen nur Engagement für die Gesellschaft erwarten, wenn man Sicherheit von der Arbeit bis zur Rente hat. Dazu zählt ein Arbeitsvertrag für die nächsten fünf Jahre genauso wie eine auskömmliche Rente nach 45 Arbeitsjahren. Vor diesem Hintergrund begrüße ich den Gesetzentwurf von Andrea Nahles.

Steiniger Wir müssen aber aufpassen, dass wir nicht nur Politik für Einzelgruppen machen. Wir müssen auch überlegen, wie wir Berufsbilder so weiterentwickeln, dass jemand mit 65 nicht mehr auf dem Dach arbeiten muss. Ich habe während meines Studiums bei der Post Nachtschichten im Lager gemacht. Ich kann nachvollziehen, wie es sein kann, so zu arbeiten. Aber es ist gefährlich, sich nur auf diese Einzelbeispiele festzulegen.

Sehen Sie in einer älter werdenden Gesellschaft die Gefahr, dass zunehmend Politik für die Älteren gemacht wird, die die Jüngeren ausbluten lässt?

Steiniger Also, meine Eltern und meine Großeltern sagen nicht: Wir wollen jetzt mehr Kohle haben, und das Geld holen wir uns von den Enkeln. Ich wurde immer sehr stark von der Familie unterstützt, das geht vielen in meiner Generation so. Mein Opa hat auch Bauschmerzen, wenn er sich den Koalitionsvertrag anschaut, weil er weiß, wer es bezahlen muss.

Özdemir Ich sehe ein ganz anderes Problem. In den Fraktionen spricht es niemand aus, dass es meist die Jungen sind, die nur Jahresverträge bekommen. Es sind die Praktikanten, die sich mit der Hoffnung auf eine Anstellung täglich überarbeiten. Natürlich sehen das unsere Älteren, aber es ist einfach nicht im Fokus der Regierung. Da müssen wir mehr tun. Darin sehe ich auch die Aufgabe der jüngeren Abgeordneten, solche Probleme anzupacken. Aber ich bekomme eben für diese Intonation auch Zuschriften von Arbeitssuchenden, die Mitte 50 und älter sind.

Die Erhöhung der Mütterrente kostet pro Jahr mehr, als es zusätzliche Bildungsinvestitionen in vier Jahren gibt. Ist das Signal richtig?

Steiniger Ich habe beim CDU-Parteitag gegen die Mütterrente gestimmt, weil ich gesagt habe: Die ist zu teuer. Offensichtlich war ich damals in der Minderheit. Jetzt sind wir damit in den Wahlkampf getreten. Und was man in der Politik verspricht, muss man einhalten. Wobei ich meine, dass diese Rentenmaßnahme auch über Steuern mitfinanziert werden müsste. Da stehe ich eher der SPD-Position näher.

Özdemir Da bist du gut aufgehoben (beide lachen). Wir Sozialdemokraten haben bei der Mütterrente nicht die avantgardistische Rolle eingenommen. Es steht jetzt im Koalitionsvertrag, und ich bin vertragstreu. Auch wenn man daran Kritik üben kann.

Die CSU hat zu Beginn der großen Koalition eine Debatte zur Armutszuwanderung angestoßen. Wie ist das bei Ihnen angekommen?

Özdemir Das war ein Niveau, das nicht im Entferntesten der Debatte gerecht wird und erst recht nicht den Menschen aus Bulgarien und Rumänien. Wer so Sätze prägt wie "Wer betrügt, der fliegt", der sollte lieber erst mal vor der eigenen Haustür kehren. Es war ein Niveau, das sich weit vom Koalitionsvertrag entfernt hat.

Steiniger Sowohl CDU und CSU stehen zur Freizügigkeit. Die Wortwahl war allerdings mal wieder etwas zu pointiert.

(qua, jaco)
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