Addis Von der Armut direkt in die Sklaverei

Addis Abeba · Jedes Jahr werden 200.000 Äthiopierinnen als Haushaltshilfen für die Golfstaaten angeworben. Für viele beginnt damit ein Alptraum.

"Ich putzte gerade die Fenster im vierten Stock. Da ging meine Herrin mit einem Messer auf mich los und stieß mich aus dem Haus. Mein Fehler war, dass ich sie nicht gehört hatte, als sie mich gerufen hatte", erzählt Alemshay. Sie war eine von mindestens 200.000 jungen äthiopischen Frauen, die jedes Jahr auf der Suche nach einem besseren Leben ihre Heimat verlassen, um meist in den Golfstaaten als Haushaltshilfen anzuheuern. Viele von ihnen kommen arm, sexuell missbraucht und mit zerbrochenen Träumen zurück, manche nie, andere in billigen Blechsärgen.

Um andere Mädchen vor Alemshays Schicksal zu bewahren, hat die äthiopische Regierung unlängst die Vermittlung von ausländischen Haushaltskräften verboten. Gelöst wird das Problem der modernen Sklaverei dadurch jedoch nicht. Denn Armut, falsche Hoffnungen und Versprechungen und illegale Schleuser lassen das Geschäft mit den billigen Arbeitskräften weiter florieren.

Nachdem ihre Chefin mit einem Messer auf sie losgegangen war, wachte Alemshay in einem Krankenhaus in Dubai auf. Mehrere Rippen, beide Arme und beide Knöchel waren gebrochen. Fünf Monate lag sie im Krankenhaus. Dann wurde sie zurück in ihre Heimat geschickt. Wie ein Produkt aus dem Katalog, das dem Kunden nicht gefällt oder während der Garantiezeit kaputtgegangen ist. Alemshay ist immer noch kaputt. Die Knochen an ihrem rechten Fußgelenk sind nicht richtig zusammengewachsen. Der Fuß steht schief ab, ist von roten, wulstigen Narben überzogen, beim Gehen zieht sie ihn hinterher. "In Dubai habe ich bis zu 20 Stunden am Tag gearbeitet, jetzt werde ich nie wieder anstrengende Arbeit verrichten können", sagt die 22-Jährige.

Sie wuchs in einem Dorf ohne Strom, Internet, Informationen und Perspektiven auf. Wie viele ihrer Altergenossinnen, die in solchen Dörfern aufwachsen, fiel sie auf die falschen Versprechen der skrupellosen Arbeitsvermittlungsagenturen aus der Hauptstadt Addis Abeba herein. "Ihr werdet dort freundlich empfangen werden und ein schönes Zimmer haben. Ihr müsst nur ein bisschen putzen und euch um die Kinder kümmern. Dafür gibt es jeden Monat mindestens 500 Dollar, die ihr eurer Familie in Äthiopien schicken könnt. Wenn es Probleme gibt, könnt ihr uns jederzeit anrufen oder nach Äthiopien zurückkehren. Das Flugticket zahlen wir", hatte der nette Mann im Anzug gesagt.

Ein paar Wochen später saß Alemshay, die sich zuvor noch nie mehr als ein paar Busstunden von ihrem Dorf weggetraut hatte, zusammen mit Hunderten anderen Mädchen in der riesigen Halle des Flughafens in Addis Abeba. In einer billigen Plastiktasche hatte sie alles, was sie in ihr neues Leben mitnehmen konnte. Ihr billiges Handy, in das sie die Nummer ihrer Eltern und des netten Mannes von der Arbeitsagentur eingespeichert hatte, ein paar Fotos ihrer Familie, ein kitschiges Heiligenbild, ein paar Klamotten und ein paar Fladen des sauren äthiopischen Brotes Injera, das ihre Mutter ihr mitgegeben hatte. In der Hand hielt sie den Pass und die Papiere, die die Arbeitsagentur ihr gegeben hatte. Beide Dokumente verstand sie kaum. Schon als Kind musste sie auf dem kleinen Hof ihrer Eltern mithelfen, konnte nur selten zur Schule gehen.

Vor dem Abflug war sie nervös - und stolz. In Äthiopien, dem fünfzehnärmsten Land der Welt, in dem kaum ein Mädchen einen festen Job findet, rund 85 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, die Jugendarbeitslosigkeit so hoch ist, dass sie nicht zuverlässig erfasst werden kann und das geschätzte durchschnittliche monatliche Einkommen bei umgerechnet rund 75 Euro liegt, gilt die Auswanderung vielen Mädchen als einzige Chance, der Armut zu entfliehen.

Es kam anders. Sobald sie in Dubai gelandet waren, wurden den meisten Mädchen ihre Pässe und Telefone abgenommen, kurz darauf begannen sie ihre Arbeit als moderne Sklavinnen. In einem Land, dessen Sprache, Kultur und Religion sie nicht verstehen. "Mein Herr hatte zwei Frauen. Tagsüber habe ich mich um den einen Haushalt kümmern, abends um den anderen. Ich habe rund um die Uhr gearbeitet, aber Lohn habe ich nicht bekommen", erzählt Alemshay. Wenn sie vor Erschöpfung bei der Arbeit einschlief oder einen Fehler machte, wurde sie mit Wasser übergossen, geschlagen, mit dem Messer bedroht und schließlich aus dem Fenster gestoßen. "Meine Herrin ist dafür nie bestraft worden. Sie hat gesagt, es sei ein Unfall gewesen", sagt Alemshay unter Tränen.

Azeb versuchte ihr Glück im Nachbarland Kuwait. Drei Jahre schuftete die 26-Jährige dort als Hausmädchen. Bis zu 20 Stunden am Tag für umgerechnet rund 12,50 Euro. Pro Monat! Noch nicht einmal Essen bekam sie. Sie musste sich aus dem Mülleiner suchen, was ihre Arbeitgeber wegwarfen. Doch schlimmer als der Hunger und die Erschöpfung waren für die stolze Äthiopierin die Demütigungen. Hatte sie die Arbeit im Haushalt erledigt, nahm der Hausherr sie mit auf seine Jacht. "Während ich das Deck schrubbte, hat er Wasser über mich geschüttet. Nur weil sie Geld haben, denken sie, dass sie etwas Besseres sind als wir", sagt Azeb.

Was auf dem Boot noch passierte, darüber will sie nicht berichten. Vergewaltigung ist ein Tabu, über das in Äthiopien kaum offen gesprochen wird. Doch George Okutho, Direktor des Ostafrika-Büros der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), vermutet, dass viele der äthiopischen Haushaltshilfen im Ausland sexuell missbraucht werden. Kommen die betrogenen Ehefrauen dahinter, dass ihre Männer sich an den jungen Ausländerinnen vergehen, lassen sie sie oft mit Schlägen für das Verhalten ihrer Männer büßen. Wird eine der Frauen nach einer Vergewaltigung schwanger, verliert sie meist sofort ihren Job, um Schande vom Haus zu halten. Manche der schwangeren Äthiopierinnen stürzten sich in ihrer Verzweiflung mit dem ungeborenen Kind von den Dächern der glitzernden Wolkenkratzer.

(RP)
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