Berlin Vorhang auf für den neuen de Maizière

Berlin · Er war ganz unten, stand als Verteidigungsminister kurz vor dem Aus, wurde gegen seinen Willen erneut Innenminister, geriet in der Flüchtlingskrise ins Schwimmen - und übt nun den anderen Auftritt: Thomas de Maizière.

Seine Rechte ruht im 90-Grad-Winkel auf seiner Linken auf dem mit beigem Stoff bezogenen Konferenztisch, während Thomas de Maizière Sätze sagt wie: "Ich bin überzeugt, dass eine andere Regel bei der Vorratsdatenspeicherung besser wäre." Die Hände bewegen sich auch nicht bei Sätzen wie: "Wer gegen uns kämpft, kann nicht deutscher Staatsbürger bleiben, wenn er noch eine andere Staatsbürgerschaft hat." Die Rechte im 90-Grad-Winkel auf der Linken - es ist so etwas wie die Tisch-Variante der Merkel-Raute, ein handgreiflicher Ausdruck innerer Ruhe und Orientierung.

Live-Schalte zur Bundespolizei. Im Mittelpunkt: Thomas de Maizière. Tags darauf Live-Schalte ins Innenministerium. Im Mittelpunkt: Thomas de Maizière. Nun Live-Schalte zur Innenministerkonferenz. Im Mittelpunkt: Thomas de Maizière. Wegen mangelnder Aufmerksamkeit muss sich der Minister in diesen Zeiten nicht sorgen. Auch hinter den Türen setzt sich das fort. Erst streitet er draußen um Burka-Verbot und Doppelpass, dann sortiert de Maizière im CDU-Präsidium die Dinge, trennt Wünschenswertes von Machbarem, Parteipolitisches von Regierungshandeln - und hat alle hinter sich. So ähnlich auch in der zweitägigen Zusammenkunft der Unions-Innenminister. Vorher noch ein konfuses Forderungspapier, hinterher eine geordnete Vorlage. Hier Sicherheit, da Integration.

De Maizière ähnelt im Sommer 2016 dem de Maizière des Sommers 2006. Nur dass der damalige Kanzleramtsminister lieber hinter den Kulissen Merkels Politik mit Ländern, Ministerien und Fraktionen abstimmte. Das ist der ideale Ort für einen, der es auch heute noch fertigbringt, vor laufenden Kameras zu sagen: "Ich habe dazu an anderer Stelle vorgetragen", wenn er meint: "Sie erinnern sich, wie wichtig die Aufklärung im Darknet ist." Er neigt dazu, immer mal wieder den Charme einer Büroklammer zu versprühen. Doch nach den Anschlägen von Paris, Brüssel, Nizza, Würzburg, München und Ansbach hat er gezeigt, dass er auch anders kann: Betroffenheit und Bedachtsamkeit verbinden, so dass ein Ansatz im De-Maizière-Stil herauskommt.

Die Ausstrahlung von Übersicht, Durchsetzungsfähigkeit und Verlässlichkeit hatte ihn auf dem Weg vom Kanzleramts- über den Innen- zum Verteidigungsminister zu Merkels Kronprinz gemacht. Das änderte sich nicht zuletzt in der Drohnen-Affäre derart, dass auf de Maizières Zukunft niemand mehr einen Pfifferling geben wollte.

Doch schon auf deren Höhepunkt verzog er sich nicht, sondern stellte sich Parlament und Presse - ein Steher, aber ein politisch geschrumpfter. Es nagte an ihm, als Merkel ihm, dem Sohn des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs, 2013 das geliebte Verteidigungsministerium wegnahm und ihn auf den früheren Posten des Innenministers schob. Schnell stand er in der Flüchtlingskrise mit dem Rücken zur Wand.

Wenn einer mit seinem Profil für Kontrollverlust des Staates stand, dann ausgerechnet der mit den preußischen Beamtentugenden. Und dann verlor er auch noch die Flüchtlingskoordination an seinen Nach-Nachfolger Peter Altmaier. Wiederholt wurde indes auch vermerkt, dass er die Flüchtlingspolitik anders steuern würde, wenn er der Kanzler wäre. Aber Loyalität zur Kanzlerin blieb seine erste Ministerpflicht, und so drehte er stets wieder bei. Zuweilen aber drehte er auch eigenständig, etwa als er die Einzelfallprüfung für Syrer unabgestimmt wiedereinführte.

Das Schwimmen in der Sache entsprach dem Schlingern bei der Wortwahl. Als er bei den Motiven für die Länderspielabsage in Hannover klarer werden sollte, haute er den Satz raus: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." Wie er später verriet, hatte er da vor Augen, dass die Behörden nicht nur im Stadion, sondern auch im Bahnhof mit Bomben rechneten und dass er Panik dort verhindern wollte. "Glücklich" sei der Satz nicht gewesen, räumte er ein.

Glücklich waren auch seine Vorhaltungen von angeblichen Schieflagen nicht: dass Flüchtlinge von Aufnahmelagern mit dem Taxi Hunderte Kilometer führen, dass Ärzte 70 Prozent der Männer unter 40 mit Krankschreibungen vor Abschiebungen verschonten. Klang gut, war aber nicht belegbar.

Den Versuch eines Sommerurlaubs musste er zweimal abbrechen. Anschlagsbedingt. Nach Rio ist er, obwohl Sportminister, gar nicht erst gereist. Der Rückweg wäre in der Krise zu weit gewesen. Stattdessen ackert er bei der inneren Sicherheit nach dem Muster Sammeln, Ordnen, Festlegen, um weitere und größere Anschläge zu verhindern. Eine Garantie gebe es nicht, sagt er. Aber dass da einer als Minister alles Mögliche getan und als CDU-Vordenker Profil gezeigt hat, das soll schon deutlich werden.

Ruhig liegt seine Rechte auf der Linken. Wie bei einem, der seine Hausaufgaben gemacht hat. Und sich auf neue freut.

(RP)
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