Gastbeitrag Wählerflucht aus der CDU

Wäre jetzt Bundestagswahl, würden 40 Prozent nicht hingehen. Das ist vor allem für die Union ein Problem: Ihre Anhänger sind frustriert. Den CDU-Konservativen fehlt allerdings eine ernsthafte Alternative. Die CSU wäre eine.

Wählerflucht aus der CDU
Foto: C. Schnettler

Vordergründig kann die CDU/CSU mit der Sonntagsfrage ganz gut leben: Mit 39 Prozent hat sie zwar in letzter Zeit vier Prozentpunkte verloren - sie dominiert dennoch unangefochten. Analysiert man die Parteienpräferenz jedoch genauer, dann dürfte das eine hochgradig nervöse Parteispitze hinterlassen: Nicht unbedingt, weil sie seit der letzten Bundestagswahl 14 Prozent ihrer Wähler an andere Parteien verloren hat - übrigens jeweils rund 800.000 an SPD und AfD. Viel besorgniserregender ist, dass die Union ihre Wähler nicht mehr bindet. Jeder vierte CDU-Wähler 2013 ist inzwischen im Lager der Nichtwähler verschwunden - so viele wie bei keiner anderen Partei.

Wären heute Bundestagswahlen, würden bereits 40 Prozent aller Wahlberechtigten zu Hause bleiben, fast so viele wie bei den für sie unbedeutenden Landtags- und Europawahlen. Der Absturz der Christdemokraten fällt nur deshalb kaum auf, weil in der Sonntagsfrage nur die Wähler ausgewiesen werden. Im Einheits-Mainstream des regierungs- und oppositions-offiziellen "Wir-schaffen-das"-Bekenntnisses finden vor allem die Unions-Konservativen keine Meinungsheimat mehr: In vielen Detailfragen sprechen sich bereits mehr als die Hälfte der CDU/CSU-Wähler gegen den offiziellen Merkel-Kurs aus. Ob Wiedereinführung von Grenzkontrollen, Festlegung einer Obergrenze: Immer sind Mehrheiten, selbst von Unions-Anhängern, Mentefactum-Umfragen zufolge dafür. Selbst das Krisenmanagement ihrer Kanzlerin wird im eigenen Lager zum ersten Mal mit "schlecht" bewertet.

Zuspruch im eigenen Lager sieht anders aus. Dass aus Wählern bislang erst Nichtwahl-Parker geworden sind und die große Regierungspartei damit nur moderat abgestürzt ist, liegt am Fehlen einer ernsthaften Alternative: Die Bundestagsparteien unterstützen im Grunde Merkel, und die AfD gilt als reine Protestpartei - ohne Gestaltungsanspruch. Einzig sinnvolle Alternative wäre eine bundesweit ausgedehnte CSU: Für fast 20 Prozent der CDU-Anhänger wäre sie wählbar.

Die CDU hat zum ersten Mal ein riesiges Nichtwähler-Problem. Lange Zeit wähnte sie sich bei niedriger Wahlbeteiligung im Vorteil. Für das konservative Wertesystem ihrer Anhänger war Wählen Pflicht. Nun aber hinterlässt die Merkel-CDU die Wähler im Zuge der Flüchtlingskrise in gewisser Weise heimatlos. Weil sie deren wichtigstes Wahlmotiv, die innere Sicherheit nämlich, nicht mehr bedient. Ob Euro-Krise, Bankenkrise, Ukraine, Atomausstieg: Stets reagierte Merkel aller Kritik zum Trotz besonnen - und gab den Deutschen Sicherheit.

Ihre Flüchtlingspolitik hat eine verunsicherte und für 77 Prozent tief gespaltene Nation zur Folge: ein Land der offenen Grenzen, des ungeregelten Zuzugs, das seine Integrationspflichten auf die Unberechenbarkeit der Freiwilligenmassen verlagert. Nur noch für 38 Prozent der Union-Wähler hat die Bundesregierung die Flüchtlingslage unter Kontrolle.

Wenn selbst die CDU die Sicherheit ihrer Bürger nicht mehr gewährleistet und rechtsfreie Räume akzeptiert, dann ist sie ihrem konservativen Stamm keinen Wahlgang mehr wert. Die Partei der Sicherheit hat durch Merkels geduldet unkontrollierten Zuzug einen Unsicherheitsstaat geschaffen, der vor allem den sicherheitsliebenden Älteren und Konservativen die politische Heimat nimmt. Zumindest vorübergehend. Dennoch ist eine Kehrtwende möglich. Viele haben nur einen "Parkplatz-Ausflug" unternommen - und warten ab, was mit ihrem Zuhause passiert. Diese neue Form der skeptisch nachdenklichen und politreflektierenden Wähler wird somit zur wahlentscheidenden Gruppierung. Die angesichts der wenig attraktiven Alternativen sehnsüchtig darauf wartet, wieder Belege zur Union-Rückkehr zu erhalten. Nur: Damit zu rechnen, dass diese für die Union prekäre Wählergruppe erneut - wenn der Wahltag naht - das kleinere Übel wählen würde, darauf sollten sich CDU/CSU angesichts des Frustrationsgrades diesmal nicht verlassen.

Klaus-Peter Schöppner ist ein deutscher Meinungsforscher. Der 67-Jährige ist Gründer und Geschäftsführer des Instituts Mentefactum.

(RP)
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