Berlin Wahlkampf auf dem Kirchentag

Berlin · Barack Obama lobt vor 70.000 Zuschauern seine Freundin Angela Merkel. Kein Wunder, dass Martin Schulz da etwas neidisch wird.

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel hätte es am Donnerstag vor dem Brandenburger Tor nicht besser laufen können: In einem seiner ersten Sätze legte Barack Obama ein Freundschaftsbekenntnis ab. "Während meiner Präsidentschaft war Angela Merkel einer meiner liebsten Partner", sagte der frühere US-Präsident vor 70.000 jubelnden Kirchentagsbesuchern. Obama saß dort am späten Vormittag neben Merkel auf dem Podium und sprach zum Thema "Engagiert Demokratie gestalten". Moderiert wurde die Veranstaltung vom EKD-Ratsvorsitzenden und bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und der Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au.

Und auch ansonsten machte Obama keinen Hehl aus seiner Zuneigung für die Bundeskanzlerin. Immer wieder nannte er sie beim Vornamen und pflichtete ihr beim Thema Flüchtlingspolitik bei. So ein Auftritt ist vier Monate vor der Bundestagswahl für Angela Merkel unbezahlbar. Die Kanzlerin musste nichts weiter tun, als dazusitzen und zustimmend zu nicken.

Missfallen erregte sie allerdings mit ihrer Rechtfertigung von Abschiebungen. Der EKD-Ratsvorsitzende hatte sie konfrontiert: Viele Menschen, die sich ehrenamtlich für Flüchtlinge einsetzen, könnten nicht verstehen, warum manche ihrer Schützlinge abgeschoben würden, obwohl diese bereits gut integriert seien.

Merkel verteidigte die Abschiebungen - auch nach Afghanistan. "Wir müssen die Menschen schneller nach Hause schicken und die Verfahren weiter beschleunigen", sagte sie. Sie wisse, dass sie sich damit nicht beliebt mache bei den Zuhörern, die sie dafür laut ausbuhten. "Wenn Sie Bundeskanzlerin sind, gehört das mit zu den schwierigsten Themen." Weiter sprach sie von "sachgerechten Lösungen", die es zu finden gelte. "Sachgerecht" im Zusammenhang mit menschlichen Schicksalen hielten viele im Publikum für eine unpassende Vokabel.

Mit einer Klarstellung zur Sitzordnung - und zur Machtverteilung - sorgte Merkel dagegen für Lacher. Bedford-Strohm hatte gerade zu einer Frage an Obama angesetzt: Wenn jetzt schon mal der lange Zeit mächtigste Mann der Welt neben ihm sitze... Es folgte Gelächter. Denn Merkels Gesichtsausdruck sprach Bände: "Ich hab' so geguckt, weil: Neben Ihnen sitze ja jetzt erst mal ich", sagte die Kanzlerin.

Der Auftritt der beiden fällt mitten in ein Superwahljahr, und auch wenn die Veranstalter betonen, keine Schützenhilfe im Wahlkampf zu leisten - nach so einem Auftritt würde sich jeder Amtsanwärter die Finger lecken. Bei der SPD war mehr als nur ein Naserümpfen zu erkennen, dass ausgerechnet Merkel und Obama den Kirchentag 2017 überstrahlen. Und so gab SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz gestern bei einem Auftritt in Berliner Dom unumwunden zu, dass er etwas neidisch gewesen sei, Obama nicht treffen zu dürfen.

Bei dieser Gelegenheit stellte er aber auch klar, dass es für ihn entscheidender sei, im Wahlkampf "über die Dörfer zu tingeln". "Wenn sich einer bemüht, eine Krankenschwester, einen Busfahrer oder einen Arbeitslosen zu treffen, dann wächst in meinen Augen damit seine Glaubwürdigkeit", sagte Schulz, der als "passiver Katholik", wie er sich selbst bezeichnet, mit dem Kirchentag etwas fremdelt. Im Dom nahm er an einer Diskussion über "Glaubwürdigkeit in der pluralen Gesellschaft" teil - und nutzte diese Gelegenheit viel offensiver als Angela Merkel am Vortag, um sein Profil im Wahlkampf zu schärfen. Der Rahmen entsprach auch viel eher einem Martin Schulz, der sich volksnah als Versteher und Zuhörer profilieren möchte. Anders als bei Obama und Merkel konnten die Kirchentagsbesucher im Dom - wie es gute Sitte bei den Protestanten ist - eigene Fragen stellen.

Als Kanzlerkandidat werbe er um das Vertrauen der Wähler. Vertrauen sei eine der wichtigsten politischen Ressourcen, aber gleichsam sehr empfindlich. Die Wähler müssten ihm einen Vertrauensvorschuss geben. Schulz zitierte eine Statistik, der nach nur rund 15 Prozent der Deutschen den Politikern vertrauten. Für ihn sei das Ansporn, noch klarer zu kommunizieren und keine Wahlversprechen zu machen, von denen er wisse, dass er sie nicht halten könne. "Wir müssen zugeben, dass Politik komplex ist und dass wir nicht innerhalb weniger Minuten eine Lösung für Probleme anbieten können."

Deutlicher als Merkel und Obama am Vortag bezog Schulz Stellung gegen den amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Dessen Äußerungen beim Nato-Gipfel in Brüssel über Deutschland bezeichnete Schulz als "Stil eines autokratischen Herrschers". Solch eine demütigende Behandlung brauche die Kanzlerin als Vertreterin des deutschen Volkes nicht zu akzeptieren.

Schulz präsentierte sich im Dom als gradliniger, unangepasster Fürsprecher der einfachen Menschen. Man habe ihm geraten, eine andere Brille zu tragen, den Bart zu rasieren, keine Anzüge von der Stange zu kaufen, seine O-Beine zu begradigen und auf seinen rheinischen Dialekt zu verzichten. Das alles habe er abgelehnt: "Für mich ist es wichtig, ganz bei mir selbst zu bleiben."

Er habe absichtlich auf ein Regierungsamt verzichtet, als er Kanzlerkandidat geworden sei. Er habe auch auf sein Mandat im EU-Parlament verzichtet. "Wie kann ich neben Frau Merkel in der Regierung sitzen, und gleichzeitig glaubwürdig sagen ,Die muss weg'?"

(heif)
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