Berlin Wahlkampf mit Big Data

Berlin · Mit Algorithmen im Internet lässt sich individuelles Verhalten steuern - das wird immer gezielter bei politischen Entscheidungen genutzt.

Nun beginnen sie wieder zu brüten, die Werbeagenturen, die für die Parteien Konzepte für den nächsten Bundestagswahlkampf schneidern: Welche Botschaft soll auf welchen Plakaten die Straßen der Republik beherrschen? Was die Bundestagsparteien traditionell in der heißen Phase des Wahlkampfes zu immer neuem Leben erwecken, haben die Werbeprofis des US-Präsidentschaftswahlkampfes längst für tot erklärt: Plakate für alle brächten nichts. Sie nutzen längst die neuen technischen Möglichkeiten, jeden einzelnen Wähler individuell anzusprechen.

Es ist kein beklemmendes Zukunftsszenario, das "Das Magazin" aus der Schweiz recherchiert hat. Es beschreibt die Wahlentwicklungen der jüngsten Vergangenheit: Wie es kam, dass der völlig unbekannte Ted Cruz zum beliebtesten Alternativ-Kandidaten zu Donald Trump werden konnte. Wie das Brexit-Lager die Stimmung drehte. Und nicht zuletzt, wie Trump selbst neben der eigentlichen klassischen Wahlkampfzentrale eine zweite Organisation schuf, die sich in ausgewählten Schlüsselstaaten die unentschiedenen Wähler vorknöpfte und ihre Wahlabsicht durch genau zugeschnittene Informationen zu beeinflussen versuchte. Mit Erfolg.

Dabei handelt es sich gar nicht um geheim gehaltene neue Erkenntnisse, aus denen sich, wie der Psychometrik-Wissenschaftler Michael Kosinski sich ausdrückt, eine "Bombe" der Massenmanipulation bauen lässt. Dahinter steht die 36 Jahre alte psychologische Erkenntnis, dass sich der Charakter eines Menschen anhand von fünf Persönlichkeitsmerkmalen bestimmen und daran sein wahrscheinliches Verhalten voraussagen und beeinflussen lässt. Wem es gelingt, die Offenheit, die Gewissenhaftigkeit, die Gruppenbezogenheit, die Verträglichkeit und die Verletzlichkeit einer Person herauszufinden, der hat sie mehr oder weniger in der Hand.

Früher brauchte man dafür umfangreiche Fragebögen und Kontrolluntersuchungen. Also nichts für größere Gruppen, erst recht nicht für ganze Gesellschaften. Heute reichen schon die öffentlichen "Likes" von Facebook-Nutzern für eine erste Analyse. Und wer dann noch Millionen Daten über Konsumverhalten, Wohnadresse, Beruf, Bewegung dazukauft, der kann jeden Einzelnen mit einer speziell auf ihn zugeschnittenen Botschaft erreichen.

Bei Youtube ist öffentlich nachzuverfolgen, wie das gemacht wird. Alexander Nix hat die Prinzipien bei einem Zukunftskongress im September in New York erläutert: "Die Macht von Big Data und Psychografie", hieß sein Vortrag. Und Nix weiß, was er da in der Hand hält. Seine Firma Cambridge Analytica steckte sowohl hinter der Brexit-Kampagne als auch hinter dem Online-Wahlkampf von Trump. Und er weiß, mit welchen Botschaften der einzelne Amerikaner oder Brite verleitet werden kann, seine Stimme dem beworbenen Kandidaten zu geben. Oder auch, wie Anhängern des gegnerischen Lagers individuell Zweifel vermittelt werden, die sie von der Stimmabgabe abhalten. Tatsächlich basierte Trumps Erfolg nicht nur darauf, viele Unzufriedene zur Wahl zu bringen, sondern auch darauf, dass viele Anhänger der Demokraten von einer Unterstützung Hillary Clintons absahen.

Die Psychografie, also die Ergänzung der Psychologie um die Auswertung großer Datenmengen, stößt den traditionellen Wahlkämpfer vor den Kopf. Es reichen nicht mehr besondere Botschaften für "die" Frauen, "die" Geringverdiener oder "die" Stammwähler. Und was deutsche Parteien immer noch unter "Direct Mailing" verstehen, also den Massenversand von Mails an jeden Einzelnen, hat auch nichts mit individueller Ansprache zu tun. Die Botschaften müssen laut Nix deutlich individualisierter und emotionalisierter sein als in bisherigen Wahlkämpfen in der Republik.

Auch deutschen Parteien stellen sich darauf ein, dass es 2017 einen Wahlkampf völlig neuen Typs geben wird. Das Bundeskriminalamt warnte davor, dass der auch mit bewussten Falschmeldungen im Internet ablaufen könnte. Die Regierung befürchtet, dass Russlands Trolle eingreifen könnten. Trump genoss bereits Putins Unterstützung.

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer gab inzwischen die Devise aus, dass die alte CDU-Strategie der "asymmetrischen Demobilisierung" (mehr Wähler der anderen sollen zu Hause bleiben als eigene) abgelöst werden muss durch eine "asymmetrische Mobilisierung" - auch mit Hilfe des Internets.

(may-)
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