Gastbeitrag von Alfred Grosser Warum Deutschland von Europa profitiert

Bei der Europawahl geht es um Verantwortung – innerhalb Deutschlands, innerhalb Europas und weltweit. Leider wissen die Bürger viel zu wenig über die EU. Dabei gilt: Je geeinter Europa ist, desto besser für uns alle.

 Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser.

Der deutsch-französische Publizist Alfred Grosser.

Foto: Frank Rumpenhorst

Bei der Europawahl geht es um Verantwortung — innerhalb Deutschlands, innerhalb Europas und weltweit. Leider wissen die Bürger viel zu wenig über die EU. Dabei gilt: Je geeinter Europa ist, desto besser für uns alle.

Von der Vergangenheit weiß man wenig, oder man will wenig wissen! Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner großen Europa-Rede im Februar darauf hingewiesen, dass Konrad Adenauer am 9. Mai 1950 den Schuman-Plan zur Montanunion auch deswegen so schnell begrüßte, weil er einen großen Schritt zur Wiedererlangung der deutschen Souveränität bedeutete. Frankreich und die damals noch machtlose Bundesrepublik trafen sich auf einer gleichberechtigten Ebene der Supranationalität.

In seiner Rede als Alterspräsident des ersten gemeinsamen Bundestags, am 20. Dezember 1990, stellte Willy Brandt fest: "Unsere Freiheit hätten wir nicht bewahren können, wäre sie nicht durch die Atlantische Allianz und im wachsenden Maße durch die Prosperität und die Solidarität der Europäischen Gemeinschaft geschützt worden. Zu den Gründervätern des vereinten Deutschlands zählen in diesem Sinn Männer wie Jean Monnet, die unseren Völkern den Weg nach Europa haben weisen helfen, noch ehe Hitler zur Hölle gefahren war." Von all dem ist vor der Europa-Wahl in Deutschland nie die Rede!

Schlimmer: Genau wie in Frankreich weiß man hierzulande wenig von Europa. Warum? Schuld haben die Politiker (was gut ist, kommt aus Paris oder Berlin, was schlecht ist, kommt aus Brüssel!) und noch mehr die Medien. Das Positive ist uninteressant. Nur das Nörgeln wird dem Zuschauer, dem Zuhörer, dem Leser vorgelegt. In Frankreich sorgt lediglich die größte Tageszeitung "Ouest-France" dafür, dass Millionen Leser erfahren, was die EU schon alles für dieses Frankreich, für seine Regionen, seine Wirtschaft geleistet hat.

Die Wahrnehmung des schon Bestehenden wird auch ständig vom Bundesverfassungsgericht erschwert. In seinem Urteil zum Lissabon-Vertrag kommt das Wort "Euro" gar nicht vor, verwiese es doch auf den Verlust eines wesentlichen Hoheitsrechts. Karlsruhe lebt in der ständigen Angst, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg untergeordnet zu sein, wie die Bundesbank gegenüber der Europäischen Zentralbank.

Die Richter des Zweiten Senats sollten lesen, was Wolfgang Schäuble, der europäischste aller deutschen Spitzenpolitiker, jüngst geschrieben hat: "Wir werden in Deutschland akzeptieren müssen, dass für Entscheidungen, die europäisch geregelt sind, im Streitfall der Europäische Gerichtshof zuständig ist und nicht nationale Gerichte letztinstanzlich entscheiden können." Denn: Je geeinter Europa ist, umso mehr Vorteile gibt es für Deutschland.

Die europäischen Banken werden künftig stärker beaufsichtigt. Ein echter Fortschritt. Damit hätten zum Beispiel die Vergehen der Bayerischen Landesbank verhindert werden können. Oder die Missetaten der Deutschen Bank unter dem Vorsitz des vielgelobten Josef Ackermann. Zwei Milliarden Dollar Strafe musste die Bank wegen fragwürdiger Hypothekengeschäfte bezahlen und eine Milliarde wegen Mogeleien mit dem Zins-Index Libor.
Der Euro ist umstritten? Ohne den Euro und das Krisenmanagement der EZB unter Mario Draghi wäre die durch die lockere Kreditpolitik der amerikanischen Notenbank ausgelöste weltweite Krise für alle europäischen Länder zur Katastrophe geworden.

Würde der Euro verschwinden, so könnte die Bundesrepublik kaum noch innerhalb der EU exportieren (immerhin beinahe zwei Drittel ihrer Ausfuhren). Der Franc würde nämlich so abgewertet, dass Frankreich in Deutschland kaum noch kaufen könnte. Die deutsche Prosperität hängt vom Euro ab. Und Berlin ist mindestens in wirtschaftlicher Hinsicht die Hauptstadt der EU. Das Europäische Parlament hat immer mehr Befugnisse.

Seine Legitimität sollte nicht bezweifelt werden. Nirgendwo anders geht es so transnational zu. Man gruppiert sich nach Parteizugehörigkeit, nicht nach Nationalität. Und der Vorwurf, es gebe zu wenige Deutsche im Parlament? Deren Anzahl ist immerhin besser berücksichtigt als etwa im deutschen Bundesrat, wo ein Bremer Wähler zehnmal stärker vertreten ist als ein Nordrhein-Westfale oder als im US-Senat, wo eine Stimme aus dem Bundesstaat Alaska 54 Mal mehr wiegt als eine aus Kalifornien. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die besten unter den deutschen Abgeordneten in Straßburg eine viel größere Rolle spielen als alle anderen. Sei es nur, weil sie mehr präsent sind, mehr arbeiten, wissen, wie man wichtige Positionen erringt und wie man auch Kompromisse erreicht, die keine Siege sind, sondern Zeichen eines guten Zusammenwirkens innerhalb der Institution.

Das soll nicht heißen, dass die deutschen Wähler sich ihr Land als starke politische Kraft in und für Europa wünschen. Die deutschen Regierungen traditionell übrigens auch nicht, aus Sorge, dies könne für die Partner die Hitler-Vergangenheit heraufbeschwören. Aber heute ist Außenminister Steinmeier zu Recht enttäuscht über eine Umfrage, die zeigt, dass innerhalb von 20 Jahren die Zahl der Deutschen, die sich ein starkes Engagement in der Außenpolitik wünschen, von 62 auf 37 Prozent zusammengeschrumpft ist. Dabei gäbe es viel zu tun und viel mitzuentscheiden.

Ja, es geht um Verantwortung — innerhalb Deutschlands, innerhalb Europas und weltweit. Also, lieber Leser, hören Sie auf Bundespräsident Gauck, wenn er sagt: "Wir haben so gute Voraussetzungen wie nie zuvor, um mitzugestalten". Gehen Sie zur Wahl!

(csi)
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