Berlin Warum Gauck die automatische Diäten-Erhöhung stoppt

Berlin · Einen Tag vor der geplanten Anhebung fehlt immer noch die Unterschrift des Präsidenten.

Urlaubsgeld bekommen die Abgeordneten grundsätzlich nicht. Aber wenn sie die heute beginnende letzte Sitzungswoche vor der langen parlamentarischen Sommerpause geschafft haben, wollten sie alle eigentlich mit 415 Euro mehr in der Tasche in den Urlaub starten. Denn morgen sollte die erste Stufe der hopplahopp im Februar beschlossenen Diätenreform wirksam werden. Daraus wird nichts. Denn bevor die Bundestagsverwaltung die höhere Überweisung auf den Weg bringen kann, muss die gesetzliche Grundlage in Kraft getreten sein. Die Unterschrift des Bundespräsidenten ist dazu zwingend erforderlich. Die steht aber auch heute noch aus.

Schon der zeitliche Ablauf mutet bei diesem Verfahren merkwürdig an. Am 10. Februar hatten sich die Fraktionsführungen von Union und SPD auf die neue Diätenregelung verständigt, tags darauf ließen sie die von den Fraktionen absegnen, in derselben Woche in erster Lesung im Bundestag beraten und am Freitag der folgenden Woche bereits endgültig entscheiden. Gewöhnlich vergehen Monate zwischen dem ersten Entwurf, gefolgt von Experten-Anhörungen über Fachberatungen bis hin zur zweiten und dritten Lesung im Parlament. Dieses Mal brauchte die große Koalition keine zwei Wochen für alles. Auch im Bundesrat gab es Mitte März keine Bedenken, zumal die Vertreter der Landesregierungen es als unpassend empfanden, den Abgeordneten in die Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten reinzureden.

Doch dann stockte das so eilige Vorhaben erst einmal. Wie das Präsidialamt mitteilte, ging der Gesetzestext erst am 19. Mai bei Joachim Gauck ein. War der Bundestag sich sicher, dass der Präsident das Gesetz durchwinken würde, oder sollte ein klein wenig zeitlicher Druck in die Angelegenheit hineinkommen? Schließlich stand darin, dass die erste Stufe der Diätenerhöhung am 1. Juli in Kraft treten sollte.

Aber Gauck neigt nicht zum Abnicken. Und seine Juristen sahen besonderen Anlass, hier noch einmal genauer hinzuschauen. Schließlich war das in aller Eile gegen die Stimmen von Linken und Grünen durchs Parlament gedrückte Gesetz von den Fraktionen selbst geschrieben worden. Die sonst übliche intensive Prüfung durch die Verfassungsexperten in Innen- und Justizministerium hatte es dieses Mal nicht gegeben, weil die Regierung offiziell gar nicht beteiligt war.

Ungeduldig verweist Unions-Parlamentsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer den Präsidenten darauf, dass er die Unterschrift nur verweigern dürfe, wenn ein Gesetz "ganz offenkundig verfassungswidrig" ist. Dafür gebe es aber in seinen Augen "keinen Anhaltspunkt".

Andere Augen sehen das anders. So die des Staatsrechtlers Hans Herbert von Arnim. Er bezeichnet den Umstand, dass künftig alle Ausschussvorsitzenden eine Zulage bekommen sollen, als eine "in Gesetz gegossene Verfassungswidrigkeit". Von Arnim beruft sich auf eine entsprechende Entscheidung des Verfassungsgerichtes, das im Jahr 2000 dem Thüringer Landtag verboten hatte, Ausschussvorsitzende besser zu alimentieren als gewöhnliche Abgeordnete.

Gaucks Juristen haben bei der Prüfung der aktuellen Diätennovelle sicherlich noch einmal das legendäre Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Herbst 1975 studiert. Und dabei sind sie gleich unter den besonders herausgestellten Leitsätzen auf die Festlegung gestoßen, wonach aus dem formalisierten Gleichheitssatz folge, "dass jedem Abgeordneten eine gleich hoch bemessene Entschädigung zusteht, unabhängig davon, ob die Inanspruchnahme durch die parlamentarische Tätigkeit größer oder geringer ist".

Doch nicht nur an diesem sehr offensichtlichen Punkt gibt es Probleme. Nach zwei üppigen Erhöhungsschritten will der Bundestag seine Diäten künftig an die Lohnentwicklung koppeln. Automatische Diätenerhöhungen sind jedoch ebenfalls verfassungswidrig. Seit 1975 ist das im Diäten-Urteil nachzulesen: "Das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip verlangt, dass der Willensbildungsprozess im Parlament, der zur Festsetzung der Höhe der Entschädigung und zur näheren Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen führt, für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird."

Die Juristen der großen Koalition meinen, dass dem Rechnung getragen werde, weil jeder Bundestag für sich öffentlich erneut festlege, sich an die Lohnentwicklung anzukoppeln. Juristen der Opposition verneinen das entschieden: Wenn schon, dann müsse der Bundestag jeden einzelnen Erhöhungsschritt öffentlich beschließen, auch wenn er nur der Lohnentwicklung folge.

(RP)
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