Düsseldorf Was ist das rechte Strafmaß?

Düsseldorf · Das Verbrechen in Norwegen hat im Land des Täters und seiner Opfer eine Debatte über das angemessene Strafmaß ausgelöst. Viele Norweger halten die Höchststrafe von 21 Jahren in diesem Fall für völlig unangemessen. Sie wollen, dass der Täter für immer im Gefängnis bleibt. Manche plädieren sogar für die Todesstrafe. Eine norwegische Internet-Plattform "Ja zur Todesstrafe für Anders Behring Breivik" hatte kurz nach ihrer Installierung schon 2000 Mitglieder.

Auch in Deutschland haben die Attentate eine Debatte über das Strafmaß ausgelöst. Die Vorsitzende des Opferschutz-Verbandes "Der Weiße Ring", die ehemalige NRW-Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter, erläuterte im Gespräch mit unserer Zeitung die Vorstellung von einer angemessenen Strafe: Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei im Regelfall nach 15 Jahren zu prüfen, ob ein zu lebenslanger Haft Verurteilter auf Bewährung freigelassen werden könne. Dahinter stecke der Doppelcharakter des Strafzweckes: einerseits ("Spezialprävention") der Sühnegedanke sowie die Pflicht zu Resozialisierungs-Anstrengungen während der Haftzeit; andererseits ("Generalprävention") die abschreckende Wirkung. Müller-Piepenkötter verwies darauf, dass auch ein Mörder, bei dem das Gericht nach Paragraf 57 a des Strafgesetzbuches die besondere Schwere der Schuld festgestellt habe, faktisch nach 21 bis 22 Jahren eine reale Chance auf Freilassung bekomme.

Helmut Frister, Lehrstuhlinhaber für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Uni Düsseldorf, ergänzte, dass bei festgestellter besonderer Schwere der Schuld auch über die Frist von 20 bis 22 Haftjahren hinausgegangen werde. Frister: "Aber irgendwann nach 24 oder 25 Jahren stellt sich auch bei uns die Frage, ob ein zu lebenslang Verurteilter wieder freikommt."

Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, hält das deutsche Strafrecht für ausreichend gerüstet zur Ahndung schwerster Kriminalität. Zur diskutierten Abschreckungs-Funktion eines bestimmten hohen Strafmaßes sagte Frank: "Zwar ist die Strafdrohung ,lebenslang' bei Mord allgemein, also auch jedem potenziellen Mörder bekannt, aber in der konkreten, oft spontanen Tatsituation erreicht die Drohung den Täter nicht immer." Dennoch müsse es der Staat bei Straftaten gegen das Leben unbedingt bei der abstrakten Strafandrohung "lebenslang" belassen: "Leben ist nicht disponibel, der Gesetzgeber muss deshalb durch die absolute Strafandrohung ,lebenslang' ein uneingeschränktes Unwerturteil aussprechen."

Zu der in Norwegen erwogenen Anklage wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit sagten Frister und Frank, eines solchen Rückgriffs bedürfe es in Deutschland nicht, weil hier, anders als in dem skandinavischen Land, jeder Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sei. Anders als oft angenommen, gibt es laut Richterbund-Chef viele sogenannte Lebenslängliche, die bis zu ihrem Tod hinter Gittern bleiben: "Eine Strafaussetzung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe ist nur möglich, wenn nicht nach einer Gesamtwürdigung der Tat und des Täters die – oftmals im Urteil festgestellte – ,besonders schwere Schuld' und das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit weitere Vollstreckung gebieten."

(RP)
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