Auch ein Jahr nach Todesurteil Unklarheit Was passiert mit Öcalan?

Istanbul (dpa). Ein Jahr nach dem Todesurteil für Abdullah Öcalan ist das Schicksal des PKK-Chefs noch immer unklar und die Kurdenfrage noch immer ungelöst. Der am 29. Juni vergangenen Jahres wegen Hochverrats und mehrerer Morde zum Tode verurteilte Öcalan muss zwar nicht befürchten, in absehbarer Zeit am Galgen zu enden. Denn der EU- Kandidat Türkei will den Fall vorerst nicht an das Parlament zur Abstimmung weiter leiten.

Ankara will vielmehr eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte abwarten. Nach Ansicht von Präsident Ahmet Necdet Sezer könnte das Gericht in Straßburg schon in wenigen Monaten ein Urteil fällen. Der Staatspräsident fordert daher, die Todesstrafe noch vor dem Urteil abzuschaffen. Doch innerhalb der Koalitionsregierung ist dies ein umstrittenes Thema.

Der Chef der rechtsextremen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Devlet Bahceli, beharrt darauf, dass Öcalan hingerichtet wird. Seine Partei würde eine Abschaffung der Todesstrafe zwar unterstützen - zuvor müsse Öcalan aber gehängt werden, fordert Bahceli, der bei den Wahlen im Frühjahr vergangenen Jahres mit einem harten Kurs gegen den Separatistenführer auf Stimmenfang gegangen war.

Doch sogar das türkische Militär bewertet die Lage anders: Nach Angaben von Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu hat das Militär nichts gegen die Abschaffung der Todesstrafe. Die Entscheidung darüber dürfe zudem nicht mit dem Schicksal des PKK-Chefs, der jahrelang als Staatsfeind Nummer eins galt, verbunden werden. Auch Ministerpräsident Bülent Ecevit von der Demokratischen Linkspartei (DSP) drängt seit langem auf eine Abschaffung der Todesstrafe.

Ansonsten bleibt Ecevit aber bei seiner harten Gangart: Er weigert sich weiter, mit der PKK, die den Wandel von einer Guerillagruppe zu einer politischen Partei versucht, zu verhandeln. Politischer Separatismus sei genau so gefährlich wie bewaffneter Separatismus, sagte Ecevit vor kurzem. Bis auf kleine Lockerungen soll die kurdische Bevölkerung auch nicht mehr kulturelle Freiheiten erhalten. Zwar wurden im März dieses Jahres im Südosten Feiern zum kurdischen Frühjahrsfest Newroz zugelassen. Anschließend wurden jedoch Dutzende Journalisten verklagt, weil sie das Fest wie im Kurdischen mit "w" und nicht wie im Türkischen mit "v" geschrieben hatten. Zudem stehen mehrere Politiker der pro-kurdischen HADEP-Partei wegen angeblicher PKK-Kontakte und separatistischer Reden auf Kurdisch vor Gericht.

Für die Menschen im Südosten hat sich die Lage dennoch entspannt. Die Zahl der Gefechte zwischen der PKK und dem Militär ist in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Nach Angaben des türkischen Generalstabes halten sich nur noch rund 500 PKK-Kämpfer innerhalb der Türkei auf. Angesichts dieser Entwicklung hat der Nationale Sicherheitsrat nun empfohlen, den Ausnahmezustand in der ostanatolischen Provinz Van aufzuheben. In den Provinzen Diyarbakir, Tunceli, Sirnak und Hakkari soll der Ausnahmezustand noch einmal um vier Monate verlängert werden. Beobachter rechnen jedoch damit, dass Ende dieses Jahres auch in diesen Provinzen der Ausnahmezustand endlich abgeschafft werden wird.

Nun setzt die türkische Regierung auf ein Wirtschaftsprogramm in der unterentwickelten Region. Doch ob dies ausreichen wird, um einen dauerhaften Frieden zu sichern, ist mehr als fraglich. Der auf der Gefängnis-Insel Imrali im Marmarameer inhaftierte Öcalan und die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans dürften dem EU-Kandidaten wohl auch weiterhin Kopfzerbrechen bereiten.

(RPO Archiv)
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